Ein Älterer, ein Professor vielleicht

Das Café an der Uni liegt nicht weit entfernt von unserer Wohnung; in den USA würde man sagen zwei Blocks entfernt. Draußen haben sie die Straße gesperrt, weil Angela Merkel am Mittwoch auf einer Bühne in der Nähe redet. Sie bauen für die Einheitsfeierlichkeiten und seit Freitag müssen die Proleten auf neue Strecken ausweichen, ihre Sportwagen zu präsentieren.

Bar Ramazzotti

Hier drinnen ist das angenehm egal. Und ich habe nicht den Fehler gemacht, in die Karte zu schauen sondern gleich einen Cappuccino bestellt – diese Unwissenheit rettet in München den ein oder anderen Tag. Ich suche noch immer nach einem adäquatem Ersatz für jenes Café, in dem ich viele Jahre während der letzten Dekade verbrachte. Das man Dinge häufiger schlecht findet, mindestens bedenklich, liegt nicht am Alter: man kennt nur sehr viel andere, bessere Alternativen.

Café an der Uni

Am Nebentisch erheben sich endlich zwei Freunde, die sich seit langem zu ersten Mal wiedersehen; der eine normal, der andere im Anzug, weil ihm sonst nichts zum Beeindrucken bleibt. Man sieht das an der Körperhaltung auf dem Weg zur Toilette, daran wie seine Augen über die anderen Besucher schweifen und wie er sich sehnt nach erwiderten Blicken. In der näheren Umgebung lacht eine Studentin zu laut und eine andere, deren Gesicht mich an eine entfernte Bekannte erinnert, verhält sich seltsam vertraut. 

Die Arbeit und das, was ich wirklich mache

Ich konnte mir als ich noch jung war schon vorstellen an einem Ort zu vergreisen wie hier.

Viele Grüße aus Meran. PS: Den Kindern geht’s gut.

Es gibt in München ein Computergeschäft – zwar nicht in nächster Nähe, wohl aber (wie man so sagt) um’s Eck – an dem ich immer vorbeiradle, wenn ich an den Wochenenden der Croissants wegen eine kleine französische Bäckerei besuche. Als Jugendlicher stand ich oft in solchen Läden; zu jener Zeit war die Welt der Computer noch überschaubar: Es gab nur zwei Prozessoren und zwei Standards für Speicherbausteine. Während ich mich gestern in die Schlange in den Verkaufsräumen einreihte zwischen Studenten und Computerbild-bewaffneten Rentnern fiel mein Blick auf die Auslage: Prozessorkühler groß wie ein Kopf und Grafikkarten zum Preis eines Laufradsatzes für das Rennrad, das ich entgegen des Plans nicht in den Mietwagen bekam. Der Prüfstein gestern, die letzte Aktion: Noch einmal Technik, danach nur Natur.

Jaufenpass

Auf der Passstraße kam ich über eine Sache ins Denken, auch wegen des Kommentars zu einem der letzten Einträge, in dem es darum geht, dass einige Menschen finanziell auf Bonusprogramme und Angebote angewiesen sind. Irgendwo oben in Brenner (ich kann mich so gut erinnern, weil ich gerade an dem unsäglichen Outlet vorbeifuhr und an dem lange geschlossenen Lebensmittelgeschäft) fiel mir auf, dass ich niemanden kenne, der seine Lebensumstände permanent reflektiert. Egal welche Gesellschaftsschicht man fragt, lautet die Antwort des Großteils derselben, man verwende das Geld wenngleich nicht sparsam so doch mit Bedacht. Das sagt der mit seinem Ferrari auf der Theresienstraße Passanten beeindruckt wie einer, der im Supermarkt nach abgelaufenen Waren kramt. So natürlich auch ich, der überzeugt ist, man benötige für ein erfülltes Leben wenig mehr als ein Fahrrad, eine Wand voller Bücher und gute Musik. Ziemlich sicher noch eine Wohnung am See. Und wo wir dabei sind: ein altes italienisches Cabriolet.

Ist man unter seinesgleichen (und das sind die meisten), kommt man nicht auf die Idee, es gäbe etwas Billigeres und von dem Teureren sieht man nur Teile. Nach oben hin findet man den Lebenswandel der anderen absurd (ohne die Einzelheiten zu kennen, die einen noch kopfschüttelnder machten), nach unten hin – so man ihn überhaupt wahrnimmt – herrscht nur Bedauern und die Frage, ob das Geld, dass die haben, ausreichend ist. Allen reicht es jedoch meistens sehr gut. Ich kenne kaum jemanden der sagt, er verschwende sein Geld, hingegen einige, die nur das Nötigste kaufen, im einen Fall eben ein Sportwagen, im anderen die Currywurst im Sparangebot. In jedem Fall jedoch ist dies eine unbewusste Entscheidung in dem Sinne, von der Existenz des jeweils anderen nicht zu wissen; dies somit nicht nachvollziehen und überhaupt: keine Entscheidung treffen zu können.

Kurhaus

Das waren meine Gedanken, während ich über die alte Brenner-Passstraße fuhr. Dazwischen der alte bekannte, den ich auf dem Weg über die Berge immer schon denke: So ein Auto ist auch nicht viel teurer als ein Fahrrad, man hat natürlich das Problem, oben in München Parkplätze vor der Haustür zu finden. Aber das Passeiertal ist nur etwa 200 Kilometer entfernt, über den Brenner und den Jaufenpass hinab nach Meran. Und in Meran gibt es dieses alte Hotel, in dem man nur eine langsame und brüchige WLAN-Verbindung in der Lobby hat und einen Parkplatz im Hof. Viel wichtiger jedoch ist die Nähe zur Laubengasse und zum Aufstieg hinan zum Tappeinerweg, das erste Ziel gestern Abend meiner Flucht aus der Stadt auf den Berg. Das hört sich – unter uns – teurer an als es ist. Ich habe an der österreichischen Autobahnplakette gespart, bin Landstraße gefahren und habe sogar die restlichen Nudeln vom Tag zuvor mitgenommen, um sie oben am Berg, auf einer Bank, zu essen mit Blick über die Stadt. All das, die Fahrt, das Hotel, die Palmen und Sonne, all das war gestern alternativlos. Die Flucht – was ich als solche bezeichne – kam im letzten Moment.

Das hört sich dramatisch an, allein ich bin mir nicht sicher. Ich musste nur dringend raus.

Noch immer liegt die Glut unter der Asche

Ich erinnere einige Sommer in einer Zeit, in der ich noch wuchs. Das ist weniger lange vorbei als es klingt. Wir diskutierten – ohne zu wissen, dass das einige Zeit später relevant werden würde – wie man sich sieht und findet von den unterschiedlichen Enden der Welt. Wir verteilten uns; jedenfalls war das der Plan. Wir waren der Meinung, man trägt die anderen stets bei sich, egal wie oft wir uns sehen und egal, wo einer ist. Mir schien diese Erkenntnis beruhigend und schmerzhaft zugleich, weil wir keinen Grund hatten, gemeinsam zu bleiben. 

Gehe nicht auf alten Spuren, beweinte nicht, was längst beweint
Lecke nicht die alten Wunden, vielleicht warst du niemals gemeint
Zähle nicht die toten Stunden, es zählt nicht, was du nicht geliebt
ersehne dir nicht alte Lieben, vielleicht wart ihr niemals vereint

Da ist G., mit dem ich alle sechs Monate telefoniere, und T., die ich ebenso selten höre. Sogar vom wunderschönen Mädchen weiß ich gerade nicht, wo sie ist, nur was sie plant und wo wir uns treffen, am Dienstag vielleicht, zweihundert Kilometer von hier.

schatten

Da ist G., den häufiger anzurufen ich mir doch täglich vornehme. Ich muss auf mich aufpassen, die Kurve zu kriegen. Es passiert etwas, das mir nicht gefällt, es findet eine Veränderung statt, eine Entwicklung, die ich erkenne an mir. Ich verstehe schließlich seine Chansons.

Wenn der Mond sich füllt, bin ich wieder fort
Wenn der Mond sich füllt, bin ich auf dem Weg
Wenn der Mond sich rundet, bin ich abgehauen
So ist es immer

Als ich gestern Nacht nach Hause kam, fand ich auf dem Küchentisch einen Kompass. Du hättest etwas anderes zurücklassen können auf Deinem Weg durch die Alpen.
Das zeigt, dass wir uns verstehen.

– Peryton

Scènes de la vie privée

Auf wirres.net wird deutlich, dass Groupon das Wasser bereits bis zum Hals steht. Bei allem Respekt: Das finde ich beruhigend. Ich finde es beruhigend, dass sich die Menschen um mich herum doch nicht auf alles Billige stürzen und dass es offenbar doch nicht so viele Unsympathen gibt wie befürchtet; denn bisher waren die ich kenne das alle, die schwärmen von den Angeboten und Schnäppchen. Zweieurofünfzig an der Currywurst gespart!

Englischer Garten

Vor einiger Zeit bekam ich von einer großen Bank eine Einladung zum Beratungsgespräch und hauptsächlich aus dem Bedürfnis heraus schnell zu fliehen, einen Riestervertrag. Einige Monate später sah ich das Carbon-Rennrad, rechnete kurz nach, welchen Betrag ich bisher eingezahlt hatte und ging bald mit dem Fahrrad nach Hause und war wieder ohne Vertrag. Ungefähr zu dieser Zeit habe ich alles gekündigt, was ich bei der Bank besaß und zog zu einer neuen, mit kleineren Filialen, weniger Geldautomaten und einer Kreditkarte mit Jahresgebühr. Mein Sparbuch habe ich vor Jahren verloren wie die meisten Aktien bei einer Enteignungsaktion. Für eine Carbon-Kurbel und einen neuen Laufradsatz hat es trotzdem gereicht.

Isarbrücke

Ich mache mir seit Jahren keine Gedanken darüber, was man mit Geld alles sonst machen kann. Es wäre auch schade, ständig mit einem Sparplan im Kopf durch dem Englischen Garten radeln, fast täglich durch das Maisfeld, und ab und zu auf der Bank unter dem Marterl in die Abendsonne zu blinzeln und die Vorbeiziehenden freundlich zu grüßen. Mir widerstrebt, vorüber zu rasen und die Isar hinunter zu stürzen, wegen der Öffnungszeiten einer Bankfiliale am Marienplatz und eines Beratungsgesprächs.

Marterl

Ich glaube, in Zeitschriften wie Capital oder Money steht, man sollte sich kümmern. Und Groupon möchte Werbung auf Webseiten schalten. Mir ist das alles ziemlich egal. Das sollen die anderen machen. 

Le Spleen de Paris

P. nimmt mich in den Arm und versichert «Das sieht doch keiner». Ich glaube ihm kaum; blaue Mäntel auf einem Rennrad mit schwarz-rotem Rahmen, an dem alles schwarz-rot ist abgesehen von eben den Mänteln: Das muss jedem sofort ins Auge springen! Natürlich kann ich die Laufräder neu beziehen, ich habe neue schwarz-rote Mäntel im Keller, doch erstens ist dies nicht mein Laufradsatz und das zugehörige Fahrrad blau und zweitens warte ich täglich auf die Lieferung des neuen, leichteren Satzes, der mich die Berge hinauftragen wird. Später im Jahr, nächstes Jahr und die Jahre danach.

windless

Mein Großvater pflegt hin und wieder zu sagen, es sei keine Liebe mehr unter den Menschen. Manchmal lache ich darüber – wenn es mir gut geht – und manchmal frage ich mich, ob er die gleichen Bücher gelesen hätte in seiner Jugend wie ich vor einigen Jahren.

In der einen Hand halte ich den Urlaubsantrag, eine Woche Mitte September, und vor mir auf dem Bildschirm die eMail, ein Zimmer sei frei und das könne ich haben. Der Ort ist nicht weit weg, drei Stunden vielleicht mit dem Auto, wenn ich die Passstraßen nehme. Zwei Tage allein und drei Tage zu zweit, genug um einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Ich werde in den Bergen warten. Ich habe Bergschuhe, eine Kamera und einen Vorsatz. Und ich habe eine Woche Zeit.

Bis nach Toulouse

Hinauf auf die Berge und auf der anderen Seite hinunter.

Ein Freund, der glaub ich Testbild hieß

Er so: «Warst Du im Urlaub? Die Bilder sahen so aus.»
Ich denke, er trifft den Nagel doch auf den Kopf, verwechselt aber Ursache und Wirkung. Ich muss dringend, ich fühle mich so. Um mich herum fahren sie nach Amsterdam oder nach Prag und kommen gutaussehend nach Haus‘ – ich treffe sie vor der Kaffeemaschine, wo ich meine Augenringe ersäufe.

Ich so: «Ich war lediglich ein paar Tage nicht online und so gut es ging auf dem Rad.»
Ich habe heute morgen meine Premiummitgliedschaft in einem dieser Business-Netzwerke gekündigt. Irgendwann vor etlichen Jahren war ich überzeugt, es wäre wichtig, doch wenn ich mich heute monatlich einlogge, ist das schon oft. Es gab genau einen Moment, in dem ich das Netzwerk vor Freunden rechtfertigte ein paar Monate lang. Irgendeiner hat mir dann hier unten gezeigt, wie es geht und was besser funktioniert als ein soziales Netzwerk im Netz. Das mit den Kontaktdaten funktioniert auch eher leidlich in einem Land, in dem man sich unter Pseudonym anmeldet, damit niemand wen findet und wenn schon, dann bitte ohne irgendwelche Information.

Wildsau

Und weiter: «Hier unten sieht alles so aus.»
C. erzählte mir, er sei für ein paar Tage in Bayern gewesen und irritiert, dass der Heiland an jeder Kreuzung angeschlagen steht. Es ist, antworte ich, ein wenig wie mit dem Elend bei Dir in Berlin: An was man ständig sieht gewöhnt man sich bald, es fällt irgendwann nicht einmal mehr auf. Er wendet ein, in Berlin leben sie noch und ich entgegne, auch hierin sind wir in Bayern einen Schritt weiter.

Im Park

Man muss sich hochwohnen, sagte mir einer damals in Marburg und ich reklamierte, vom ersten in den dritten Stock gezogen zu sein. Von dort oben sieht man nur München. Hier unten jedoch kennt man irgendwann die Ufer der Seen. Ich mag mich durchaus nicht beklagen, es ist nur so, man wird ja doch irgendwie alt.

L’Enfer du Nord

Paris-Robaix. L’Enfer du Nord oder auch La Reine des Classiques, je nachdem. Man muss sein Fahrrad ganz schön hassen, es über diese mehr als 250 Kilometer zu jagen, 50 Kilometer davon grob gepflastert. Oder die L’Eroica: Das Herz blutet, wenn sich die Wahnsinnigen auf alten Colnago- oder Gios-Rahmen die Schotterpisten hinabstürzen – nicht nur wenn man weiß, was sie kosten. 

Lenker

Wir hatten einen Abend lang eine Diskussion über Erwartung und Enttäuschung. Irgendwann vor etlichen Jahren sagte T. zu mir, ich müsse lernen, nichts zu erwarten und P. fragte mich letztens, wie das funktioniert. Ich weiß die Antwort bis heute nicht auf diese Frage, ich weiß nur, dass es sich lohnt.

Vielleicht trage ich sogar das maillot blanc in dieser Disziplin: Ich gebe auf, meine Radtouren zu planen und beschränke mich auf die Entscheidung Nord oder Süd, vielleicht hin und wieder den Ort. Den Rest überlasse ich dem Fahrradcomputer, den ich nicht verstehe, der mich über wilde Schotterpisten treibt oder auf Pfaden durch den Wald. Seit mein Radhändler, dessen bester Kunde ich bin, mir die Hand auf die Schulter legte und sagte, man können diesem Rahmen vertrauen, folge ich der Entscheidung dieses Gerätes in den meisten Fällen entspannt.

Heute stand ich dann irgendwann vor einem Schloss, irgendwo im Norden von München, in einem menschenleeren Park. Auch wenn ich nicht dort war, wohin ich eigentlich wollte, war das ein schöner Moment.

Schloss

Manchmal nach solchen Passagen lege ich meinem Rad die Hand auf den Rahmen und versichere ihm, es könne mir vertrauen. Uneingeschränkt.

Zu guter Letzt

Ich werde nicht wach wegen des Regens, ich werde wach wegen einer SMS morgens um sieben, die kündigt von frühem Besuch wegen etwas, das ich gestern vergaß. Es sind die Eltern kleiner Kinder, es ist unser Rhythmus, der kollidiert. Ein paar Stunden später – denn natürlich dauert es länger – lächle ich tapfer und bin tatsächlich so etwas wie dankbar.

A. erzählte mir gestern, nur in Unterhose gekleidet, sie hätte eine Fliege aus dem Wasser des Stadtparks gerettet. Und dann auf ihrem Bauch zerdrückt. Ich wende ein «Aber, …» während sie bereits antwortet «Doch.»

Während das wunderschöne Mädchen den Abend an einem Lagerfeuer verbringt, sortiere ich neue Bücher in das Regal. Ich lese mich fest in einem Gedichtband von Fried und gehe viel zu spät ins Bett.

Irgendwann in der Nacht muss es begonnen haben zu regnen.

 

Als Kind wusste ich:
Jeder Schmetterling
den ich rette
jede Schnecke
und jede Spinne
und jede Mücke
jeder Ohrwurm
und jeder Regenwurm
wird kommen und weinen
wenn ich begraben werde

Einmal von mir gerettet
muß keines mehr sterben
Alle werden sie kommen
zu meinem Begräbnis

Als ich dann groß wurde
erkannte ich:
Das ist Unsinn
Keines wird kommen
ich überlebe sie alle

Jetzt im Alter
frage ich: Wenn ich sie aber
rette bis ganz zuletzt
kommen doch vielleicht zwei oder drei?

— Erich Fried

Der sehr alte Hund und sein Herrchen

Du
blöde
Schalotte!

höre ich mich im Hinausgehen sagen und weiß, dass er diesen Satz zu verstehen Jahrhunderte braucht. Es ist beinahe verrückt, wie viele Dinge ich hasse.

Gestern, im Hinterhof zwischen den Mülltonnen, kam die Erkenntnis, dass man mitnichten nachsichtig wird; das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht liegt es daran, sich eine Konsequenz angewöhnt zu haben, keine Zeit zu verschwenden, in der man barfuß auf einer Lichtung voll Moos durch den Wald laufen könnte.
Kurz: man gibt auf sich Acht.

Einhunder Jahre alte Buchrücken

Von den sechzehn gut einhundert Jahre alten ledernen Bänden, die ich heute im Antiquariat auf meinem Weg nach Hause entdeckte, besaß ich nur einen bereits. Später diskutierte ich in einem unscheinbaren Feinkostladen mit einer alten Italienerin, die meine Wahl mit einer Handbewegung mißbilligte und aus einem kleinen versteckten Regal eine Packung Kaffeebohnen zog, überschwänglich lobend, »Bohnen mit Geschichte«.

Es sind Situationen wie diese. Gliche der kleine Laden einem der Supermärkte, in denen die Kaffeebohnen nie ausverkauft sind, ich hätte diese Situation verpasst wie das Gespräch mit einer Sennerin, die endlich Bergkäse mit mikrobakteriellem Lab vertreibt, weil der Käseverkäufer dort anrief und mit ihr sprach.

Es sind Situation wie diese. Schließe ich meine Augen, träume ich einen verrückten Traum, von dem ich keinem erzähle. Vielleicht liegt das daran, dass ich gesehen habe, dass es geht. Während andere gegen den Staub in ihren Billy-Regalen mit Samstags dafür angeschafften Glastüren kämpfen, sind meine Füße dunkel vom Dreck auf unserem Balkon.

Und unten wartet der sehr alte Hund auf sein Herrchen.

Vom Desaster zur Ruhe

Der Balkon ist ungefähr acht Quadratmeter groß. Für eine Wohnung in dieser Lage ist das ungewöhnlich und einer der Gründe, warum wir hier wohnen. Dennoch nutzen wir den Balkon selten, meistens zur Aussaat neuer Samen, die wir von unserer Hausbank zugesendet bekommen. Die Lage Richtung Süden ist dabei ein Großteil des Jahres von Vorteil, an heißen Tagen wie diesen macht sie jedoch einen Aufenthalt ebenda ab etwa elf Uhr zu unangenehm.

Nur Meter vor dem Stopp

An heißen Tagen wie diesen ist allerdings ab elf Uhr alles unangenehm; das treibt mich aus dem Bett zu einer Zeit, die nicht meine ist. 100 Kilometer zu fahren über die Dörfer im Hinterland heißt übersetzt, dass man morgens um sieben im Sattel sitzen sollte, um nicht in die Hitze zu kommen.

Dass ich seit über einer Stunde bei angenehmen Temperaturen auf dem besagten Balkon sitze, mit einem Kaffee aus der italienischen Espressokanne und einem französischen Buch, liegt an der Tücke des Verbundstoffs Carbon und daran, dass der Auszubildende keinen Drehmomentschlüssel hatte in der Werkstatt, die mir die Pedale montierte.

Ein Morgen vor der Wohnung

Die himmlische Ruhe des Nordfriedhofs fällt dann viel deutlicher auf, wenn bei etwas über 30 Kilometern pro Stunde das Pedal ausreißt und man anhalten muss. Nur die fünf Kilometer nach Hause in Rennradschuhen, dieses monotone Geklapper vorbei an den Überbleibseln einer Elektromusikparty der vergangenen Nacht, ist unangenehm. Doch immer noch besser als ein Wasserrohrbruch. (Dort entlieh ich den Titel des Beitrags.)