WOM

Wir sitzen zusammen im Wohnmobil, als ein uns bekanntes Gesicht am Fenster vorbei läuft, zögert, einen Zettel aus der Tasche zieht und uns entgegenstreckt.
„ABKISYN“
Ich öffne die Tür und Robbie Williams fragt mich, was das Wort bedeutet. Ich rate „abküssen“ und liege wohl nicht ganz daneben, das Schild hat er von einem Fan. Weiter gehts im Wohnmobil durch französische Bergdörfer – das Auto ist mittlerweile voll, übervoll – als uns eine Straßensperre aufhält. Irgendein ebenso teures wie großes Auto mit Blaulicht am Kühlergrill kommt uns entgegen, der eigentliche Grund ist aber ein Verkehrsunfall mit im Motoröl liegenden Toten. Ich drehe mich um, Herr Williams ist verschwunden.

Nie das WOM-Musikmagazin vorm Schlafengehen lesen! Ich kann einen Zusammenhang mit dem Kurzfilm heute nacht nicht ausschließen. Was mir auffiel: Es gibt Seiten im CD-Review-Bereich, auf denen aussschließlich „Best Of“-Alben rezensiert werden. Da sich auf diesen Seiten die Besprechungen dicht tummeln, halte ich das einen schönen Indikator für den Weihnachtswahn. Mir wäre, als hätte ich letztens eine Umfrage über die unbeliebtestens Weihnachtsgeschenke gelesen. CDs waren dabei, doch habe ich einen Freund, für den sie beliebtes Mittel sind, um die Eltern mit ganzen Diskographien ihrer Jugendidole zu besänftigen. Selbst heruntergeladen und gebrannt natürlich. Zitat aus „Gerechtes Brett“ der Sterne:

Vielen Dank, dass sie diesen Tonträger kaufen werden.
Sie unterstützen mit diesem vorbildlichen Verhalten
eine ganze Industrie, die nichts anderes im Sinn hat,
als eventuelle Gewinne in die Förderung junger Talente und
die Erhaltung der Vielfalt des öffentlichen Kulturlebens
fließen zu lassen. Dazu benötigt sie natürlich ihre Kohle,
die sie nicht bekommt, wenn sie den Scheiß einfach kopieren oder
aus dem Internet runterladen, sie Arschloch

Another one bites the dust

Gestern war Jahrestombola im Café Trauma, an der man automatisch teilnahm, wenn man seinen ausgefüllten Umfragezettel zum Allgemeinzustand des Ortes ausfüllte. Kurz gesagt, der Mensch mit der miesesten Laune hat eine Schallplatte gewonnen und so nenne ich also die neue Gluecifer Doppel-10″ mein Eigen. So ists recht und ginge der Plan zuverlässig auf, könnte ich innerhalb Wochen eine eindrucksvolle Plattensammlung zusammengewinnen.
Die heutige Hatz nach Weihnachtsgeschenken war an Misserfolg kaum zu übertrumpfen, der Regen trommelte rhythmisch den Ton der Schritte nach. Nihilistisches Nasswetter. Wieder werde ich gleich im Bett liegen mit Seminarunterlagen und „Marburg Südsee“, das dem Autor – Christoph Kirschenmann – beim Late-Night-Lesen abgeschwätzte Buch mit der ISBN 3-9808000-3-2. ;-)

Marburg Südsee

Als mir heute in der Küche der gebrauchte Kaffeefilter riss, fiel mir die Konsitzenzähnlichkeit zu Blumenerde auf und ich war einen Moment versucht, meine Palme davon in Kenntnis zu setzen.
Das Best-Of-Lesen gestern war toll, nachher saßen wir hier zu sechst, hörten Musik und erzählten. Vorher kam ich mit Anselm vom Hotel Stern ins Gespräch was Band und -gesuche angeht. Da Lars auch Lust hätte, bleibt abzuwarten, was daraus wird.
Jetzt mit Kaffee, Wärmflasche und Seminarunterlagen ins Bett. Der einzige Ort, an dem ich heute sein mag.

Die Leute wollen lachen

Ich muss die Stempel auf meiner Hand zweimal lesen, um die letzten Tage revue passieren lassen zu können. Discoteka Karambolage in der Waggonhalle am Samstag, Tags zuvor im BCN-Café der Frankfurter FH Poetry Slam mit dem Weltmeister Buddy Wakefield aus Seattle, der außerhalb der Konkurrenz an der Dichterschlacht teilnahm. Gewinner des Abends war Fatzke Schulmeister. Auch unsere Mitfahrgelegenheit kam ins Finale, das von Dalibor eröffnet wurde. Und für mich nach dessen Beitrag schon vorbei wahr. Ich habe von den anderen beiden Finalisten nichts mitbekommen, weil mich Dalibors Text so mitgenommen hat. Ausnahmsweise übertreibe ich diesmal nicht. In anschließenden Gesprächen haben viele Dalibors Texte gelobt, der – aus eigener Sicht – nicht überraschend verlor: „Die Leute wollen halt lachen.“

Samstags waren wir auf eine „außergewöhnliche Disco-Veranstaltung“ eingeladen. Auf den Webseiten heißt es:

Jede Gelegenheit wird in Marak am Schopf gepackt um rauschende Feste zu feiern.
Der rote Wein pulsiert in den Adern, die Plattenteller rotieren die Nächte hindurch, um wilde Musik durch die engen Gassen zu treiben.
Hier tummeln sich skurile Wesen und zwielichtige Erscheinungen, mit allerlei Volk gnadenlos überladene Pferdekutschen bahnen sich ihren Weg durch die Menge.
Also nimm dich in Acht, wenn sich die Tore zwischen Marburg und Marak dieses eine Mal öffnen und du die Diskoteka Karambolage betrittst.

Anfangs tat ich mich damit sehr schwer und die Laune war nicht nur wegen der Musik im Keller. Doch sie bekam rechtzeitig die Kurve und so wurde es noch ein schöner (und langer) Abend. Gewöhnungsbedürftig war die eigene Währung, die zu partykompatiblem Kurs (1000 Amok = 1 Euro) ein- am Ende aber nicht zurückgetauscht wurde. Tatsächlich war ich in einer glücklichen Situation, hatte ich doch genau so viel getauscht wie ich genau brauchte, Lars und Doreen allerdings waren erst morgens um 6 ihre Ersparnisse los.

Links übrigens eine – nach dem Wochenende in Spanisch entstandene – Zeichnung Doreens. Sie hatten noch viel Geld…

Let’s push things forward

Doreen überlegte zur Zeit meines Einzuges, das Hauptproblem dieser Wohnung sei die unmittelbare Lage am Weihnachtsmarkt. Tatsächlich verdoppelt sich an den Samstagen die Dauer von Besorgungen, was mich bisher allerdings nicht stört. Ein Schlecker, der das Nötigste hat, ist 50 Meter entfernt, selbst zum Plattenladen des Vertrauens brauche ich an solchen Tagen keine 10 Minuten.

Während ich mich durch „Alternative – Neuheiten“ wühle, gluckst ein etwa 17jähriger neben mir bei jeder Platte, die er aus einer der Kisten „R&B“, „Soul“ oder „Rap“ zieht: „Ohaha, cool, die gibts ja auf Vinyl“ und hält seiner Freundin eine Jay-Z-Platte vors Gesicht. Sie drängelt unentwegt, weil man noch dort und dahin wolle.
Ich ziehe zufrieden alle Platten aus dem „Ärzte, Die“-Fach und gehe Richtung Kasse, werde sofort erkannt, obwohl ich schon längere Zeit nicht mehr im Laden gewesen bin: „Ah, ich verkauf dir in Zukunft nur noch eine! Mal im Ernst: Die Platten laufen bei ebay gut, oder?“ Wir kommen ins Gespräch, ich erwähne, wie gut alter Punk wirklich läuft und auch jene Ärzte-Platten, die ich nicht zum ersten Mal stapelweise kaufe. Vorsichtig frage ich noch einmal nach einem Arbeitsplatz. Im Hinterkopf noch das entschiedene „Nein“ vom letzten Mal, jetzt zuversichtlicher: Ich solle meine Telefonnummer dort lassen, man melde sich bei Bedarf.
Neben mir die beiden von eben, verstohlen legt der Junge eine Catherine Deneuve-Platte auf den Tresen. Zufrieden bestelle ich das aktuelle „The Streets“-Album und nehme Kurs auf den Aldi, der sich fatalerweise mit den Öffnungszeiten des Plattenladens solidarisiert.

Bleibt nur der Tegut, in dem ich es aufgrund konsequenter Kaufverweigerung schon kompletter Speisen schaffe, unter 20 Euro zu bleiben. Zu Hause wartet die kaputte Heizung auf mich, dennoch ist es erstaunlich warm. Jetzt lege ich mich mit einer Wärmflasche ins Bett, glücklich, denn eines habe ich heute gelernt:
Marburg ist keine Intro-lose Stadt. Auf Seite 17 wartet Tom Liwa, der gestern hier im Trauma ein wundervolles Konzert gespielt hat. Und vom Cover lächelt Conor Oberst. Mädchen, im Ernst, warum fahrt ihr auf diesen Mann ab?

Like a Rolling Stone…

Freitag. 2/3 scheiße, 1/3 toll.
Morgens haben Doreen und ich erneut das Büro ihres (ehemaligen) Chefs aufgesucht. Wieder andere Gesichter an den Schreibtischen, die sie vertrösten wollten. Verständlich, dass die alten flüchten. Nun: Die Chefin persönlich, der ich dann ins Gesicht geschrien und meinem Ärger Luft gemacht habe. Irgendwann drohte sie jemanden anzurufen, wenn ich das Büro nicht freiwillig verlies. Ich blieb, sie telefonierte nicht sondern machte einen Gesprächstermin für Dienstag, dem ich bitte fernbleiben solle. Freundlich aber bestimmt.
Wer sponsort eine ganzseitige Anzeige im Express? Kostenpunkt etwa 1.200,- Euro.

Mittags schnell zum wegen Überflutung gesperrten Parkplatz. Mein Auto war natürlich schon abgeschleppt. Es folgte eine Odyssee durch die Stadt, um gegen Gebühr von 200,- (!) Euro das Auto mitnehmen zu können. Denkste. Trommelbremse hinten rechts festgerostet. Das gleiche Problem, das ich auch bei dem Vorgänger hatte. Beherzte Schläge mit dem Schraubenschlüssel auf die selbige lösten das Problem.

Abends schließlich kamen Doreen, Georg und später Christian. Wichtig, gut. Eine Entschädigung für die vorausgegangenen Stunden. Danke, ihr drei.

¿De dónde eres?

Der Spanisch-Kurs Montag abends trägt nicht umsonst die Bezeichnung „Schnellstufe“. Das Gefühl, sich nichts behalten zu können, ist indes ja kein unbekanntes und mündet grundsätzlich in Nacharbeit. Der Lehrer stammt aus Guatemala, zieht ab und zu einen Vergleich zwischen den Eigenheiten der Sprache in Spanien und jenen in Mittelamerika, was zu Verwirrung führen kann. Die meisten Mitschüler sind erwartungsgemäß Studenten, die ebenfalls im Sprachenzentrum der Universität auf einer Warteliste stehen. Außerdem eine Mutter, deren ältestern Sohn eine Freundin in Spanien hat und eine angehende Reiseverkehrskauffrau – noch Schülerin – mit spanischem Freund. Sie hat bereits Grundlagen in Italienisch und Türkisch, womit sich wahrscheinlich ihre Beziehungsgeschichte seit dem entdeckten Interesse für Jungs nachzeichnen lässt.

Ich hatte eine recht beschissene Nacht mit einem eben solchen Traum. Hier stapeln sich die Unterlagen zum Nachlesen und nicht sichtbar die anfallenden digitalen Aufgaben. Meinem Keyboard gehts wie mir, es kann sich einfach nicht entscheiden: Batterien leer. Wo bei mir das Batteriefach ist, weiß ich noch nicht. Aber ich bin sicher, innen sind Akkus.
Plug in baby

Tourisme

Musikalische Untermalung öffnet sich in einem neuen Fenster.
Ogg. 6:12 Min. 972 KB.

Die Lutherische Pfarrkirche in Marburg erhebt sich unterhalb des Schlosses und wird durch ihren schiefen Kirchturm (genaugenommen ist nur das Dach nicht recht im Lot) charakterisiert.
Wie jeden Sonntag erklärt eine Fremdenführerin einer Seniorengruppe vor der Kirche die Hintergründe des Marburger Religionsgesprächs, während wir durch die gläserne Innentür in das leere Gotteshaus treten. Ein paar Tafeln zeichnen das Leben Philipps des Großmüten nach und laden zum Schmökern ein, tatsächlich steht die einzige Besucherin außer uns gerade vor dem Testament des Kurfürsten.
Wir sind in der Nähe des Taufbeckens, als ein alter Herr im Mantel durch die Glastür gestürmt kommt, Kurs nehmend auf den Flügel neben uns. Das Ausweichen fällt schwer, routiniert sucht er Sitzkissen und Stuhl zusammen, schlägt gekonnt die Schutzhülle des Flügels zurück und beginnt zu spielen. Wir schlendern leise weiter, als plötzlich eine Trompete einsetzt. Vereinzelt treten Passanten ein, verwundert von den irgendwie sakral angehauchten Tönen aus dem Inneren der Kirche. Mit den letzten Tönen des zweiten Stückes verlassen wir die Bühne, draußen kündigt sich Regen an.

Wer die über sechs Minuten lange Tonaufnahme in grauenhafter Qualität durchsteht, wird mit einigen interessanten Motiven belohnt. Die anderen Bilder aus der Kirche sind zu schlecht, man sollte die Augen schließen und sich den Alten beim Spielen vorstellen. Bitte, ich hatte nur ein Handy und die alte Digitalkamera zur Hand. Die Vorstellung eines Grammophons mag ein wenig helfen.

Doch lecke nicht die alten Wunden

Die Küche des Wohnheims verbreitete eine Athmosphäre, die nicht zum Bleiben einlud. Hier saßen wir also nun, zwischen langweiligen und nervenden Kunstgeschichtestudenten, die sich gegenseitig mit dummen Witzen zu übertrumpfen versuchten.
Das vegetarische Essensangebot beschränkte sich auf Weißbrot, Reis und Pilze. Leider wurde mir nach drei Löffeln schon schlecht, Martini und Sekt machten die Runde. Ich lies sie ziehen. Später zogen wir durch die Stadt, die Stimmung knapp über Normal-Null (wie die Temperaturen), Nico ging es zunehmend schlechter, während er mit Markus einen Schnaps nach dem anderen in atemberaubender Geschwindigkeit trank. Wenigstens die eingebildeten Besserwisser waren wir los. Im letzten Laden, dem „Mox“, stand ich neben einer „DJane“ ohne Kopfhörer, die aussah, wie man sich Mädchen in einer R&B-Disco vorstellt.
Auf dem Nach-Hause-Weg merkte ich, dass ich die 40 Minuten lieber in der Kälte gestanden hätte.

Nachnahme

„Ich bin heute irgendwie reduziert.“ Diesen Satz hörte ich gestern zum etwa zehnten Mal – beim Anschauen von High Fidelity. Später war wieder Donner-s-Dance im Café Trauma, in dem „DJ Duhn“ die beste Musik seit langem spielte. Entsprechend war ich erst um 03:30 Uhr zu Hause. Nico war dort, bei dem ich morgen eingeladen bin und etliche Informatiker, die später noch ins Bolschoi weiterzogen, was ich dankend ablehnte.
Ansonsten mache ich mir Sorgen, dass SMS nicht postwendend beantwortet werden (Georg?) und schwanke zwischen „himmelhoch jauchzend“ „zu Tode betrübt“.
Das heute war eine Nullrunde im Tarifkampf mit dem Leben.