…marburg, … da kommen die besten her ;-)

Ich habe heute ein Café entdeckt, in dem ich in den nächsten Jahren wahrscheinlich häufiger sitzen, vielleicht sogar arbeiten werde. Ich habe ein Café entdeckt, voll angenehmer Menschen, alter Möbel und gutem Kaffee.

Café Jasmin

Es ist nicht alles so schlimm, wie es klingt zwischen den Zeilen. Ich habe Einen getroffen, fünf Meter groß, der mir Hoffnung verspricht. Ich habe ihm auf die Taille geklopft und zugenickt, als ich mich umdrehte und ging. Wir sehen uns sowieso wieder, wenn wir uns mögen – wenn wir denken, wie ein Mensch denkt, den man mag.

Von einer Gruppe Mädchen klingen schwizerdütsche Satzfetzen herüber und tanzen mit den französischen Liedern aus den alten Lautsprechern an der Wand. Es ist ein wenig wie Urlaub, es ist ein bisschen wie Sommer.

Ich wünschte ich könnte öfters arbeiten hier. Einer von vielen Gedanken und einer, der mich umtreibt. Und wie immer in diesen Phasen: Ein wenig optimistisch, ein Tick zu extrem. Sie erzählt mir abends im Bett, wie es sein sollte, hätte man eine Wahl.

Life’s journey is not to arrive at the grave
safely in a well preserved body. But rather
to skid in sideways, totally worn out, with a
beer in one hand, shouting “Woohoo, what a ride!”

– Mavis Layrer

Was ich glaube zu wissen: Man hat immer die Wahl.

Günesim

Ich habe nach Namen, willkürlich gewählt, einiger meiner Arbeitskollegen bei Google gesucht. Ich habe nicht eine Homepage gefunden.

net life

Ich meine nicht, dass das etwas heißt. Landläufig gilt Facebook als Spielwiese jener, die wenig zu tun haben – Studenten allgemein und feierndes Volk. Man kann bestimmt, in dieser Lage, keine Onlinepräsenz pflegen.

Ich meine nicht, dass das schlimm ist. Doch es beschreibt sicher den Graben, der zwischen uns gähnt. Es gibt auch einen Hinweis darauf, wie wir ticken in ungleichem Takt. »Es muss solche und solche geben« pflegt meine Mutter zu sagen; einer nimmt mich väterlich an die Hand und erzählt, er kenne die Situation.

Was er dann sagt, zitiere ich nicht.

With no baggage did I travel, Insha’Allah

Besitz zu nehmen von einer neuen Wohnung ist ein Prozess, der länger dauert (als ich hoffte). Wir haben die Kisten und Möbel in den ersten Stock getragen, ungeordnet, und waren froh, sie durch die Tür zu bekommen.

Umzug 2011

Wir haben in den anderen Räumen zu ordnen begonnen. So bleibt Chaos in jenem, in dem wir einst wohnen. Wir leben aus Kisten, unzureichend beschriftet, um das Nötige sofort zu finden. Wir stapeln um, räumen aus (und anderes wieder ein), wir verschieben oder sitzen einfach auf Cocktailsesseln auf dem Balkon, beobachten Museumsbesucher auf der anderen Straßenseite beim Warten und trinken alkoholfreies Weißbier aus Flaschen.

Gestern abend – wir wollten noch einmal hinaus, die letzte milde Frühlingsluft genießen – haben wir uns mit den Gitarren im Flur festgespielt; sie auf einem Sessel, ich auf dem alten Korkboden an die Haustür gelehnt. In all den Wogen der Harmonie mussten wir schließlich erkennen, dass weder die eigenen Texte noch jene von Metallica wirklich gut sitzen.

I shall be in this place here, Insha’Allah
This time, next year, Insha’Allah
The process that I’m in is a recurring dream
I shall be in this place here, Insha’Allah

– Phantom Ghost – The Process (After Brion Gysin)

Wer wandert braucht nur was er tragen kann

digital lifestyleMein Computer hat eine Akkulaufzeit von etwa zehn Stunden. Mein Mobilfunkvertrag stellt mir mehr Gesprächsminuten und Daten zur Verfügung, als ich in einem Monat verbrauchen kann. Ich habe seit Jahren keinen Festnetzanschluss mehr, bin überall online, habe vor langem alle Tonträger digitalisiert und in große Kisten verpackt. Ich kann bereits heute überall sein, überall arbeiten und habe überall fast alles dabei – allein ein paar Schallplatten stehen noch im Regal, umsäumt von Büchern.

Das wunderschöne Mädchen verschenkt ständig Dinge. Sie sagt, sie weiß, was Besitz bedeutet seit damals, seit jenem Moment. Ich interveniere, bekomme ich es rechtzeitig mit, argumentiere mit «der Bibliothek, in der ich als Alter sitzen möchte» und in unseren Garten schauen. Ich schaffe nicht, mich vom einzigen Buch zu trennen, das auch ich abgeben würde: Den unsäglichen Simmel will niemand geschenkt.

Ich habe mir einen eBook-Reader gekauft, hoffend, dass dieser – wie einst der iPod vor wenigen Jahren der Anfang vom Ende der Tonträger war – das Ende der Bücher einläuten wird. Doch noch werde ich sie kistenweise in den Wagen verladen, breche ich meine Zelte in dieser Stadt in vier Wochen ab.

Und doch: Reisegepäck ist mir ein Graus, ich bekomme schlechte Laune, wenn ich mit zwei Koffern reise. Physikalischer Besitz fesselt und bremst; ich kenne Wohnungen, in denen wird man erschlagen vom Ramsch, vom Tand und von Trödel «gekauft auf einem arabischen Markt.»

Wer wandert braucht nur
was er tragen kann

Diesen Satz einer alten Freundin im Ohr schaue ich mittlerweile entspannt auf die brennenden Zelte und auf ein brennendes Haus. Ich weiß, der Verlust des Eigentums, das dort gerade verbrennt, schmerzt nur einen lächerlich kurzen Moment.

Die Angst des Tormanns beim Elfmeter

Ich habe eine Wohnung besichtigt in einem bekannten, von einem namhaften Architekten entworfenen Haus im Herzen der Stadt. Es kann nicht allein Einbildung sein, die planerischen Gedanken hinter jedem Detail zu erahnen. Man merkt, es hat sich jemand Mühe gemacht, das Haus – die Wohnungen – zu entwerfen; es gibt einen Grund, warum Dinge sind wie sie sind. Man merkt das, wenn man in der Küche steht, im Bad oder in einem der beiden anderen Räume. Gegenüber einem bunten Museum.

Zöge ich in diese Wohnung, ich wäre Zeit meines Lebens verloren für die meisten anderen, namenlosen Wohnungen in den belanglosen Häusern zuhauf um uns herum.

Man müsste ausmisten, sich trennen, Besitztum zurücklassen in den Räumen, in denen man heute lebt, bei Freunden, die sich darüber freuen, denn diese Wohnung hat allein einen einzigen Fehler: sie besitzt ein Zimmer zu wenig. Aber auch ein Freiherr zu Guttenberg zitiert offenbar eine Quelle zu wenig – Minister ist er noch immer.

Mein Verhältnis zum Tod hat sich nicht verändert: ich bin strikt dagegen

Er lacht. Ich glaubte den halben Nachmittag, er hätte irgendwann Architektur studiert und dass wir ihm hier über den Weg laufen, wäre ein Glücksfall. Als letzterer hat er sich tatsächlich erwiesen, nicht nur wegen seiner Geschichten, auch wegen seiner Tipps jetzt beim Kaffee.

Eine Geschichte wie viele

Ich habe naturgemäß seinen Namen vergessen, wie ich immer die Namen vergesse. Wir liefen durch Schwabing, er voraus, erzählte von der Bohème vor einhundert Jahren und von Jugendstil-Architektur. Jetzt sitzen wir im Café Rischart an der Ludwigstraße vor unserem Kuchen und erzählen einander von den eigenen Wegen hierher.

Er hat nicht Architektur studiert, sagt er irgendwann. Es sei nur ein Hobby und er für seinen ursprünglichen Beruf etwas zu alt. Er wählt die Worte besonders; er sagt Sätze, die alt sind, die man heute kaum mehr hört. Es macht Spaß zu beobachten, wie er spielerisch – kaum auffällig – nach den richtigen Worten kramt, ein wenig pausiert, nachdenkt, und schließlich Sätze formuliert, die ihn vom Stammpublikum in diesem Café unterscheiden, dessen Name eine erhabenere Aura verstrahlt als das Interieur.

Er rät uns am Abend zu zwei alten Kaffeehäusern im innersten Zirkel der Stadt. Es sind, denke ich, immer die gleichen, die einander finden. Beruhigend. Und taste nach ihrer Hand.

– t: Woody Allen

Moulin à café

In der Kaffeeküche unserer Arbeitsgruppe steht ein Vollautomat, der etwa so teuer gewesen sein muss wie mein letztes Auto. Um mich herum machen sich Kollegen zum Sport, hinabzusteigen in die tiefsten Stollen des Geheimnisses der Kaffeezubereitung.

Le violon

In Deiner Wohnung verbrenne ich mir den Daumen am heißen Dampf der italienischen Espressokanne, die wir günstig auf einem Flohmarkt erwarben. Sie hinterlässt ihre Spuren. Mir fehlt die Haut an jener Stelle, an der ich mich vor einer Stunde verbrannte.

Du erzähltest einmal, Du magst die Vollautomaten nicht. Ich stelle mir vor, wie Du – meiner Urgroßmutter gleich – Deinen Kaffee durch die alte französische Holzmühle drehst. In diesem Moment ahne ich die Richtigkeit Deiner Gedanken.

Peugeot Frères, Brüder im Geist.

Ach, Alte.

Ich will ein Bär sein, ein Bär mit einer BahnCard 100 oder einer Oberklassenlimousine. Weil es für beides nicht reicht, fahre ich mit der BahnCard 50 und norwegischer Musik Richtung Süden.

Eine Tür um zu gehen

Ich weiß, ich werde heute das Sägewerk sehen, den stets gleichen Diskussionen am Mittag entgehen. Ich habe RSS Feeds gekündigt, um nicht Teil jenes Kindergartens zu sein, der mich nervt; Wie soll man sich nicht für das menschliche Urmeter halten, wenn man die Prioritäten andrer verfolgt? Ich weiß, euch interessiert das Sägewerk nicht.

Ich aber werde das Sägewerk sehen, das Tal ohne Handyempfang. Die Strecke, die man aus dem Auto nicht sieht, ich werde mich an den Hängen entlangdrücken wie Frau Hoffmann auf den Armlehnen der alten Couch. Innerlich mache ich es ihr nach, die ich um das Schnurren beneide.

«Ach, Alte.» Ich werd‘ das noch lernen von Dir. Das Leben. Und das Lebenlassen. Das immer rechtzeitig Gehen.

I know I am Ugly but I Glow at Night

Draußen geht eine Tür. Einer, der nicht schlafen kann, belegt sich ein Brot zur guten Nacht.

The Lonely Steinway

Ich habe mir französische Musik gekauft, auch ich sitze schlaflos. Ein Freund ruft in fünf Stunden an, fragend, wie es mir geht. Ich werde verneinen («Du hast mich – natürlich – nicht geweckt») und sagen, es ginge mir gut, mich entschuldigen, ich sei im Augenblick etwas müde; Vielleicht drehe ich mich noch einmal um.

Mir gelingt das alles stets besser, bin ich nicht allein. Ich weiß, jetzt musst Du lachen, vielleicht sagst Du zu Dir «Mein Lieber, das glaube ich nicht.»

Dann kannst Du dir vorstellen, wie es um mich gerade steht.

— t: Amor omnia vincit

Das Haus neigt sich (dem Ende zu)

Als ich vor dreieinhalb Jahren hier einzog, nahm mich der Vermieter zur Seite. Er erklärte mir, in welchem Haus ich nun lebe und bat, ich solle bitte keine dichten Fenster erwarten. Ich war bereits Oberstadt-erfahren und hatte Wohnungen gesehen, die man nur in dieser kleinen Stadt findet.

Bruder Grimm

Wenn ich in vier Monaten hier ausziehe, wird die Eigenart der Fenster eine Kleinigkeit sein, die ich vermisse. Man hört den Wind über das Dachfenster streichen und Sekunden später erreicht ein kalter Windhauch den Rücken der Hand. In der Nähe des Fensters spürt man kalte Luft, die seit Urzeiten in diesem Haus wohnende Heizung wirft sich mit Gewalt ihr entgegen und drängt sie zurück. Ich erinnere mich gestolpert zu sein beim ersten Besuch in diesem Zimmer, weil der Boden sich zur Wand hin erhebt. Dieses Zimmer ist Pflichttermin für jeden beim ersten Besuch unserer WG: Man kann aus den Fenstern gerade hinab auf die Fußgängerzone blicken, weil das Haus sich nach vorne verneigt.

Die Geschichte des Hauses ragt weit über meine eigene hinaus; vor gut zweihundert Jahren hat man den Brüdern Grimm begegnen können auf den Treppen seiner Etagen. «Ich weiß» antwortete ich auf die Frage meines Vermieters, in welches Haus ich einziehen würde. Er seufzte und fügte hintan: «Es ist außerdem das Haus meiner eigenen Kindheit.»