Der Norden ist ein elendes Loch. Es gibt Tage, da steige ich bei Sonnenschein auf das Rad und kurz nach der nördlichen Stadtgrenze, kurz hinter dem Straßenstrich unter der Autobahnbrücke, beträgt die Sichtweite nur noch zweihundert Meter. Entgegenkommende Autos erzählen vom Regen und ich nehme mir vor, nie in meinem Leben in den Münchner Norden zu ziehen. Allein deshalb, weil sich die besten Konditoreien im Süden befinden.
Wann immer ich kann, fahre ich deshalb in den Süden, wie letztes Wochenende, unterwegs auf einer Runde, die mich zu insgesamt vier Seen geführt hat. Weil ich auf dem Markt war, kam ich einigermaßen spät auf die Strecke, weil ich auf dem Markt war, musste ich zügig in Richtung Südwesten fahren und allein weil ein Freund nicht zu Hause war, von dem ich mir nach zwei Dritteln der Strecke einen Kaffee erhoffte, kam ich nicht in die Nacht. Ich vergesse immer, wie zeitaufwändig die Fahrt durch die Stadt ist und habe doch stets in Gedanken, dass diese Seen vom Norden aus zwar nicht vollständig unerreichbar, doch komplizierter zu besuchen sind.
Es war die erste Fahrt seit langem, auf der ich mein Telefon ausgeschaltet habe, die erste auch in dieser Länge, die ich insgesamt ohne Kopfhörer und Musik absolvierte. Ich wollte nachdenken und in jenen Momenten, in denen ich nicht auf die Uhr schaute (Der Kaffee! Die Nacht!) habe ich dann über die Schlagzeilen gelacht, mit denen große Medien das Recht auf Unerreichbarkeit vermelden, das BMW seinen Mitarbeitern einräumen möchte.
Ich wiederhole zur Sicherheit noch einmal: BMW möchte seinen Mitarbeitern ein Recht auf Unerreichbarkeit einräumen. Sollte man sich dafür bedanken? Wie assimiliert muss man sein vom Wirtschaftssystem, dieses Recht nicht als bereits und selbstverständlich gegeben zu nehmen, und zwar nicht von eines Wirtschaftsunternehmens Gnaden, das eine Familie auf dem Rücken zahlreicher Arbeiter reich gemacht hat, die dann selbst unerreichbar geworden ist im wörtlichen Sinne außer für billige Gigolos in Edelhotels?
In was für einer Presselandschaft leben wir eigentlich heute, wenn alle großen Zeitungen dies drucken als eine Neuigkeit, die den Platz auf den Titelseiten wert ist? Ich habe nicht einen Kommentar gelesen – ich hoffe sehr, ich war unaufmerksam – in dem sich jemand über dieses Verständnis echauffiert. Ich möchte mit solchen Menschen nicht leben, denen dieser Zustand, aus dem uns die Firma (endlich!) befreit, als natürlich erscheint.
Fuck you very much!