Fletchers Visionen

SIE unterwandern die Uni ja seit zweihundert Jahren. Ganz Marburg, wenn man es genau nimmt. Die Menschen laufen wie Autos durch die Gänge, überwacht durch GPS, fernsteuerbar durch Elektrik, die ja überall ist.

Während er dies sagt, zeigt er mit der Hand auf die nicht sonderlich saubere Decke der philosophischen Fakultät und sitzt vor mir auf dem Tisch, direkt neben der alten Schultasche meiner Mutter, die ich jetzt im Studium verwende, und meinem Kaffee, über den wir ins Gespräch kamen. Er fragte mich, ob ich „das“ noch bräuchte, er würde eigentlich zwei Kaffees benötigen, „die brühen ihn immer so schwach hier“.
Entschieden hielt ich die Hand über meinen Becher und schaute kurz aus der Süddeutschen auf. In den folgenden zwanzig Minuten lerne ich eine Menge über die Stasi (und eigentlich alle anderen Geheimdienste) sowie Implantate, von denen ich nie gehört habe, nie hören konnte und die es DENEN ermöglichen, Menschen fernzusteuern. Mit den Drähten alter Radiospulen um Arme und Beine sei er im Nachkriegsdeutschland aufgewachsen, unter einem Dach mit der Mafia.

Er verabschiedet sich, einen schmierigen Belag von seinem Jakett zurücklassend, mit den Worten

Aber wir lassen uns so leicht nicht kriegen, was?
Pass auf dich auf!

Blogs-Hausarbeit

Gerade ist die letzte Seite der Hausarbeit über linguistische Merkmale in Blogs aus dem Drucker gekommen, der heute – natürlich – seltsam sponn. Damit können wir das Sechzig-Seiten-Monster nach einer 19,5-Stunden-Schicht endlich ad acta legen und ich mich einem in den letzten Wochen sehr vernachlässigten Programmierprojekt widmen.

Eigentlich wollte ich hier früher schreiben.
Eigentlich kann ich gar keine Blogs mehr sehen.
Zur Zeit.

Gute Nacht.

Keine Kerzen

Oh, so wird das nichts. Gestern nachmittag im Café habe ich ein wenig an der Blogs-Hausarbeit geschrieben und für heute hatte ich hehre Vorsätze. Man sollte meinen, dass man für sich allein deutlich schneller vorankommt als im gemeinsamen Gespräch, vor allem wenn die Themen disjunkt verteilt sind.
Nichts da. Das Wachstum der Schreibe bleibt heute weit hinter den Erwartungen zurück und mir nichts anderes übrig, als in den Abendstunden meiner Kreativität freien Lauf zu lassen.
Wenigstens habe ich gesaugt.

Prog Rock

Bodenlos

Das Haus verwaist, im Treppenflur herrscht aufgeregtes Treiben, ich höre sie Sofas um die Ecken tragen, Geschirr klirrt von oben und hievt mich auf den zweiten Platz der am längsten hier residierenden Mieter; nur das eine Paar, welches meine Pakete immer entgegen nimmt, lebt länger hier.

Könnte man tagsüber schlafen, fiele das nächtliche Arbeiten nicht so schwer, das ich wieder für mich entdecke. Tagsüber bin ich bestenfalls zum Lesen und zu kurzen Notizen brauchbar, der überwiegende Teil meiner Hausarbeit entsteht in den Abendstunden bei neu entdecktem Instant-Cappuccino von Tchibo.

Hausarbeit

Die relevanten Bücher rufen die Erinnerung an das letzte Seminar des vergangenen Semesters hervor, in dem ich mein Buch vergaß und mich neben eine Kommilitonin setzte, die mir ihres freudig entgegenstreckte mit den Worten

Ich hab dich gesehen!
Im Internet!

Hallo. Ich habe mich sehr unwohl gefühlt neben dir.

Vogel3

Das erste Projekt ist abgeschlossen und es geht nahtlos weiter zum zweiten. Dennoch ist es Zeit, die obligatorischen drei Kreuze ob des hinter sich gelassenen Monsters zu machen.
Folie aus der PräsentationDie Abschlusspräsentation hinterließ einen guten Eindruck und ich merke, dass der Wohlfühl-Faktor stark mit dem Foliendesign korreliert: das Halten eines Vortrages macht bei ansprechend gestalteter Präsentation doppelt Spaß.

Dass anschließend der Professor bedauert, keine Abschlussfeier stattfinden zu lassen und wir ihm „auf jeden Fall“ Bescheid sagen sollen, würde dies nachgeholt, rundet den positiven Gesamteindruck ab; man vergisst für die Minute, dass der Schlaf in den kommenden Nächten besser abgeschafft werden sollte.

Nachgeschichten

Wenn man sowieso keine Zeit hat, kommen meist zusätzliche Anforderungen, die vom nicht mehr vorhandenen Zeitkontingent weitere Teile abfordern.

tar

Die bis Dienstag zu lösende Aufgabe im einen Praktikum klingt einfach und fügt sich auf meiner To-Do-Liste zwischen »Softwareprojekt abschließen« und »Gliederung für die Hausarbeit über Vilém Flusser« nahtlos ein. Der vom Betreuer mit einer Stunde veranschlagte initiale Teil nahm den gesamten gestrigen Tag in Anspruch. Heute stehen drei größere Teilaufgaben auf dem Programm, von der die erste bereits vor dem Frühstück unbeeindruckt gegen die Wand lief.

Während das oben angesprochene Softwareprojekt sich dem Ende zuneigt (allerdings längst hätte abgeschlossen sein sollen) und präsentiert werden muss, pocht die Hausarbeit über den »Medienphilosophen« mit Vehemenz an die Tür. Sie wird die Kommunikationsstrukturen im Internet dem Netzgedanken Flussers gegenüberstellen und Hand in Hand mit dem Kommunikationsseminar des vergangenen Semesters gehen, dem sich ebenfalls eine Hausarbeit anschließt.
Flusser hat nicht nur wegen des früheren Abgabetermins Vorrang: Unangenehme Dinge erledige ich gern zuerst. In den vergangenen Tagen kamen allein sechs von ihm geschriebene Bücher, flankiert von Teilaspekten anschneidender Literatur anderer Autoren, denen bis Ende des Monats meine Aufmerksamkeit gilt. Die Lektüre philosophischer und medienwissenschaftlicher Fachliteratur geht auch bei spannenden Themen erfahrungsgemäß langsam von der Hand.

Ein Blick ins Paradies…

Mädchen stehen nicht auf nette Kerle. Was viele Männer als Mythos abstempeln, um nicht vollends zu verzweifeln, ist ein pandemieähnliches Problem für Menschen wie mich. Wenn Don Alphonso jetzt behauptet, „Wer weniger als 2.000 Bücher hat, kriegt doch keinen ordentlichen Geschlechtspartner“, bleibt zu fragen: Wie?

Eine Gruppe, die typischerweise weniger als zweitausend Bücher im Regal stehen hat – meistens für die Allgemeinheit uninteressante Sonderausgaben von The Art of Computer Programming – bilden die Informatiker. In den Vorlesungen des Fachbereichs sitzen mitunter normale Menschen, wenn allerdings abends ein Vortrag angesiedelt ist, den eine Dozentin der Theoretischen Informatik hält, ist das Auditorium ein konzentriertes Gemisch genannter Gruppe. So war es wenig verwunderlich, dass sich kaum weibliche Zuhörerschaft einfand, lediglich ein Student überredete seine Freundin, eine Nicht-Informatikerin, die – als der Vortrag die Ankündigung „auch für fachfremde Personen“ Lügen strafte – mit ihrer Fassung rang. Dem Kommilitonen wünsche ich, dass sein Buchbestand weit unter zweitausend Bänden liegt.

Auch ich brachte einen Freund, der zwar Informatik studierte, vor langer Zeit aber wechselte. Er beugte sich nach einer halben Stunde herüber: „Ich bin kuriert.“

la noyée

Great BrillainHeute abend wurden im Linguistik-Seminar erste Ergebnisse der Auswertung von eMails präsentiert. Eine der Arbeitsgruppen beschäftigte sich mit den sprachlichen Mitteln in Spam-Mails. Der Korpus von zwanzig eMails kann nicht repräsentativ sein, doch ein nicht geringer Teil der untersuchten Nachrichten bestand aus vermeintlich sinnlosen, um einen Link gruppierten Texten.

Die Spekulationen schossen wie einst im Deutsch-Leistungskurs aus dem Boden, die Phrasen verliehen eine persönliche Note, vielleicht sollten sie gar die Aufmerksamkeit des Lesers erwecken, was voraussetzt, dass dieser seine (offensichtlichen) Spam-Mails tatsächlich liest. Schaue ich meine Freunde an, wird das in den seltensten Fällen vorkommen.
Ihrer Illusion beraubt, fiel die Reaktion der Dozentin entsprechend dysphorisch aus, als Matthias in wenigen Sätzen erklärte, diese syntaktisch korrekten aber semantisch unsinnigen Sätze dienten zum Überlisten der Spamfilter.

Im LK hatte ich oft das gleiche Gefühl dieses zwanghaften Suchens nach bedeutungsschwangeren Sätzen und Situationen. Heute habe ich Übung und Tischnachbarn, die das ähnlich sehen.
Goethe schrieb die meisten Sätze auch bloß, um Kritiker ruhigzustellen.

In der Gegend von Malmö

Die Kassiererinnen zicken.
Ich sitze gerade im Café Leonardo – und bin mir nicht sicher, ob ich mich um eine Stunde vertan oder Matthias verschlafen hat – gegenüber der Kasse und erlebe die Machtausübung seitens der Kassiererinnen, die uniform gekleidet mit Einheitskittel und terrakottafarbenem Haarhelm wettern, schimpfen und lamentieren gegen den Kookai-Taschen-Zug, der an ihnen vorbeiflaniert.

Das Café Leonardo, wie die Caféteria im Hörsaalgebäude seit etwa zwei Jahren heißt, bietet eine funktionale Atmosphäre, hat aber seit der Renovierung und der damit verbundenen Umbenennung ein wenig an Bequemlichkeit gewonnen. Die Stühle sind noch immer aus ungepolstertem Holz, der Raum wird von kahlen Betonpfeilern durchzogen und durch die Panoramafenster kann man die Rückseite eines Verwaltungsgebäudes bewundern, dass die kahlen Bäume nicht verbergen.
Hierher geht man nicht, wenn man sich gemütlich unterhalten möchte. Dieser Ort ist aber erste Wahl beim Rechnen von Zetteln oder – früh morgens – zum Abgleichen der Ergebnisse vor deren Abgabe. So sieht man zusammensitzende, diskutierende Gruppen, eine schlafende Studentin und bissig schauende Kassiererinnen.

Dahinter Matthias, der mir versichert, ich habe mich in der Zeit geirrt.

Coffeinum N 0,2 g (Wirkstoff: Coffein wasserfrei)

Es lebe der Atheismus! schreit es ein paar Plätze neben mir, als wir im Seminar über Manets Erschießung Kaiser Maximilians von Mexiko reden und die Dozentin eine Parallele zu Anordnung der Delinquenten mit der biblischen Kreuzigungsszene herzustellen versucht.
Mit Es lebe er Atheismus! wird jede Argumentation der Dozentin jäh abgewürgt, es ginge hier nicht um Glauben sondern um Wissen. Es lebe der Atheismus!

Eigentlich wollte ich noch über nichtgeleerte und randvolle Mülltonnen schreiben, die erst in zwei Wochen wieder geholt werden und über die Post, die es nicht geschafft hat, in den letzten beiden Tagen zu kommen, wo ich mal zu Hause war. In den nächsten beiden, wo ich bestenfalls abends zu Hause bin, werden sich die Pakete bei den Nachbarn stapeln. Hoffentlich dort und nicht beim Postamt.

Aber wenigstens wirken die Koffeintabletten.
Werde ich je ein Mitarbeiterführungsbuch herausbringen, steht auf dem ersten Platz meiner „Wie motiviere ich richtig?“-Liste Wer schläft, macht etwas verkehrt.

Es lebe der Atavismus!