Hivemind

Ein Klick, ein Blick und sofort den Hörer zum Ohr »Wir müssen uns treffen!« Gestern in einem kleinen Gastraum im hinteren Teil einer zentral gelegenen Pizzeria erzählte er mir dann, wie alles begann.

Ich

Einen Teil der Gedanken habe ich gedacht, als ich aufs Meer schaute, als ich im Buch blätterte, als ich mich unterhielt mit dem wunderschönen Mädchen, stundenlang, das Brandungsrauschen im Ohr. Wir – das wussten wir später – waren an dem Ort, in den ich mich vor Jahren verliebte. Im Wind, zueinander unverständlich murmelnd, erging es ihr endlich ähnlich. Und am Ende, am Ende stand die Frage auf all jenes: »Wann?«

Sonnenuntergang auf Helgoland

Ich fahre Rad, um den Kopf freizubekommen.

Die Kladde

Der erste Eintrag ist vom dritten Dezember 2007 und ist ein Gedicht. Er beginnt auf der dritten Seite des kleinen Büchleins, das ich mir wenige Tage zuvor gekauft hatte, um meine Gedanken zu ordnen. Die beiden davor liegenden Seiten enthalten allerhand: eine Packlist, Telefonnummern, einige Zeichnungen und einen Reiseplan mit Stationen aus dem Dezember, in dem ich das wunderschöne Mädchen das erste mal am Chiemsee getroffen habe.

Libros

Den See kenne ich – wenngleich er doch weit entfernt gewesen ist – zu diesem Zeitpunkt schon länger. Damals gab es, wenn man den Hauptbahnhof aus dem Schaltergebäude verließ, linker Hand auf der gegenüberliegenden Straßenseide eine kleines Fotogeschäft, in dem es Fotografenbedarf zu kaufen gab und die Möglichkeit, Portraitaufnahmen zu machen. Durchquerte man diesen ersten Raum, kam man in einen größeren mit Regalen voller Schokolade und Kaffeehausutensilien. Es gab, wenn ich mich recht entsinne, drei kleine Tische und eine alte, beeindruckend große und laute Siebträgermaschine. Im Sommer kamen noch fünf Tische im Garten des Hauses dazu an denen man zwischen spielenden Kindern auf den nächsten Zug warten oder ankommen konnte – je nachdem, ob man den See gerade verließ oder erreichte. Es war natürlich (besonders im Winter und bei schlechtem Wetter) ein Glücksspiel, ob man einen freien Platz bekam; in meiner Erinnerung gibt es jedoch keine Situation, in der ich unverrichteter Dinge gehen musste – vielleicht, weil ich damals überwiegend allein reiste und man allein stets einen Raum finden kann.

Notizbuch

Blättert man weiter, reihen sich Texte an Texte, selten Gedichte, unterbrochen von losen Aufzeichnungen, die oft auf Reisen entstanden, spanischen Busfahrplänen und norwegischen Zugverbindungen, Adressen von Hostels und Telefonnummern mit ausländischer Vorwahl. Manchmal finden sich Gedankenfetzen auf einer sonst leeren Seite und die Handschrift von guten und vermissten Freunden, die ich oft seit Jahren nicht sah. Immer wieder fallen fehlende Seiten ins Auge wegen der Risskanten oder einer gelockerten Bindung, an der ich die Blätter heraustrennte, die ich oftmals als Brief versendet habe. Und doch wurde das Buch über die Jahre nicht dünner; heute ist es umfangreich wie niemals zuvor, die Bindung nur und mühsam gehalten von zwei Streifen Gewebeklebeband.

Notizbuch und Karten

Auf der letzten Seite der Kladde gibt es eine Falttasche, die mittlerweile gefüllt ist mit den Fundstücken verschiedener Reisen. Hier finden sich Briefmarken und -umschläge, Fahrkarten aus verschiedenen Städten, die dort vergessen liegen und unzählige Postkarten, die ich stets sammelte mit dem Vorsatz sie zu vesenden und die mir dann stets zu schade vorkamen (oder – das häufiger – die ich einfach vergaß). Hier schließt sich der Kreis: auf manchen der Karten steht in einer vertrauten Handschrift eine Adresse, die sich auch auf den ersten zwei Seiten des Notizbuches findet. Damals, vor fast fünfeinhalb Jahren, eine Adresse, die mir eine Schlafstatt versprach. Heute, als Absenderadresse auf mehreren Karten, mich zu erinnern, wo ich das wunderschöne Mädchen stets finde.

Wir laden uns jemand Gefährlichen zum Tee ein

Oft, wenn ich an Wochenenden von einem der Seen nach Hause komme, sitze ich einige Tage später im Ohrensessel und überlege. Ich kann mittlerweile die Uhr danach stellen, diese Phasen kommen häufiger als in den Jahren zuvor. Es wird also dringlicher, vielleicht weil ich gehäuft das Andere sehe, weil ich näher bin als in den Jahren weiter oben im Norden, weil ich Leute kennengelernt habe, die nicht meine Geschichte teilen und vielleicht weil es einfach ist, in dieser Stadt unzufrieden zu sein.

Blick von der Neureuth

Seit dem letzten Wochenende ist etwas Wichtiges passiert. Nicht, dass ich die Krise gerade nicht hätte – ich sitze mitten in ihr – aber jemand hat etwas gesagt und etwas geschrieben, was ich im Ohrensessel verdränge: dass diese Stadt ihre positiven Eigenschaften hat. Da sind die Cafés und Antiquariate – ich selbst sage immer, hier zu leben ist schön, weil alles in Laufnähe ist – der Bioladen, in dem man sich duzt und Rezeptvorschläge bekommt und die Reinigung, in der man mich vermisst, seit ich keine Anzüge mehr trage und sich doch jedes Mal freut, wenn ich komme, meinen Vornamen kennt. All das weiß ich, wenn ich im Ohrensessel sitze unter den Bücher zu meiner Rechten, die beruhigend in den Raum schauen, in ein warmes Licht getaucht von den beiden alten Lampen, am Ende des Raumes das Stövchen, das ein diffuses Licht durch den Tee schickt. Ich weiß das, so lange ich das Fenster nicht öffne und die unsäglichen Fahrzeugkolonnen die Ruhe vertreiben oder ein Bus an der Haltestelle ein sonores Wummern erzeugt, das man beinahe mehr spürt als man hört.

Kurz vor der Neureuth

München ist auf seine Art allerdings auch seltsam lächerlich, und vielleicht ist es das, was mich im Ohrensessel umtreibt. Diese Art bleibt zurück wenn man an die Seen flüchtet, wartet, während man eine Stunde entfernt einen Rennrodel durch den Wald zieht hinauf zu der Hütte, dem letzten Ziel vor der Abfahrt. Ich habe das letzten Sonntag zum ersten Mal gemacht (zumindest mit einem Rennrodel); Der Freund erklärt mir die wenigen Dinge, die man wissen muss, durch die Kurven zu kommen. Oben denke ich noch, mit dem wenigen Wissen käme ich niemals heil wieder runter, doch in den letzten beiden Kurven überhole ich dann einen Jungen und dessen Vater.

Rennrodel

Die Rodelstrecke, der Berg, dieser See sind mit dem Zug eine Stunde Fahrzeit entfernt. Mein Büro liegt im Norden von München, man kann die Alpen sehen von dort. Statt einer Stunde Zug fahre ich Rad, durch den Englischen Garten und an der Isar entlang. Doch die Phasen kommen häufiger als in den Jahren zuvor. Vielleicht muss sich irgendwann etwas ändern.

Blick von der Neureuth

Abends im Ohrensessel versuche ich vernünftig zu argumentieren. Kalt war’s, in München ist’s wärmer. Ich weiß, das ist halbgar. »Und ausserdem, wer braucht schon Zehen?«

Auf dem Heimweg von der Rodelbahn

– t: Flowerpornoes – Das Wort Erde

Die Billigesser

Catch as catch can war das Abitur-Motto unserer Schule im Jahr 1996. Ich weiß noch, es steht für Nehmen was man kriegen kann ohne Rücksicht auf Verluste. Das mag damals eine Kritik an Einzelnen gewesen sein, die ich nicht kenne, da ich erst Jahre danach Abitur gemacht habe.

town

Irgendwann später kamen die Bonusprogramme in mein Leben durch Bekannte, die Punkte sammeln, die Gutscheine kombinieren, um billig zu essen. Sie kaufen gebundene Bücher, um beim Kennenlernen der Lokale ihrer Stadt möglichst billig davonzukommen; sie gehen nur dorthin, wovon es Gutscheine gibt, oder ins Kino, um sich später von den Karten Burger zu kaufen.

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Noch später dann triumphieren die Blöden über die Guten, es triumphieren die Netzwerker über die anderen, denen das zu lästig ist. In Bayern bekommt einer den Job nicht, weil der andere jemanden kennt. Es hält zusammen, was zusammengehört. Der nächste mit dem Intellekt eines Papageis erklärt, dass nur Netzwerke dem nützen, der sie hat.

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Auf jeden dieser drei Absätze bekommt man zu hören: »Das machen doch alle« und »ich wäre blöd, es anders zu tun.« Catch as catch can. Das ist heute Kritik an der Masse. Dieses Jahr wird entweder richtig gut oder schlimm.

t: Thomas Bernhard

Sachsen

Ich glaube, jedes Kind hat seine Methode, um sich die Zeit auf langen langweiligen Autofahrten zu vertreiben. Als ich ein Junge war, der im Auto noch hinten saß, beobachtete ich oft die Feldwege an den Rändern der Straße und stellte mir vor, mit einem Fahrrad entlang zu rasen in der Geschwindigkeit des Autos der Eltern. Ich spiele dieses Spiel noch immer, heute vorwiegend in Zügen, und ganz besonders eignet sich die sechsstündige Bahnfahrt nach Berlin.

Sachsen

Wir fuhren etwa mit Lichtgeschwindigkeit, als sich ein älterer Herr zur mir setzte, der vielleicht in Leipzig zugestiegen war – immerhin sprach er akzentfrei – und der mich in meinem Spiel unterbrach. Er erzählte, hier sei er aufgewachsen und die Bahnen früher waren stets eine Attraktion für die Kinder im Dorf, das wir eben hinter uns ließen. »Drüben, die lange Reihe von Bäumen, stehend wie eine Armee« sei sein Schulweg gewesen. Und dieser, sein letzter Weg vielleicht aus dem Dorf führe in nun in die Stadt. Er sagt, er hätte Abschied genommen.

Sachsen

»Es gibt«, erzähle ich ihm, »für mich zahlreiche Lebens- und Sterbensmodelle und keines davon sieht aus wie Berlin.« Ich achte nicht mehr darauf, was er sagt; vor meinem inneren Auge ziehen unzählige Bilder vorbei. Bilder von der Uferpromenade und dem an ihr gelegenen, längst verlassenem Grand Hotel, an dem zehn Jahre alte Schilder lehnen Wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Ich kann nur wenige Worte Italienisch, doch die auf dem Schild erinnere ich gut.

Sachsen

In jener Gegend gibt es keine Feldwege an den Straßen. Radfahrer fahren abseits auf weniger befahrenen und engen Wegen, die Namen tragen wie Panoramastraße. In jeder Kehre gibt es Platz zum Pausieren, bergauf ist es ähnlich anstrengend wie ich damals als Kind auf den Feldwegen ahnte, in der Geschwindigkeit meiner Eltern. »Ich würde«, und dies sage ich zu ihm gewandt wieder laut, »jederzeit tauschen«.

NO.T//M[Y-]DE-PA/R(T)M.ENT–{2-9}C3

Vor zehn Tagen habe ich Mittags in München den Zug bestiegen, jetzt fahre ich durch den Kölner Hauptbahnhof. Doch die Reise geht weiter.

Das waren teilweise schöne, teilweise anstrengende Tage bisher. Dass ich – besonders zwischen den Jahren – wenig Schlaf bekommen würde, war einkalkuliert. Dass es dermaßen wenig wurde und dass ich den halben Sonntag mit dem zahnärztlichen Notfalldienst verbringen würde, war nicht eingeplant. Eine halbe Wurzelbehandlung später also, jetzt, fahre ich durch den Kölner Hauptbahnhof.

Es scheint, als wäre ich der einzige in diesem Zug, der von Start- zu Endbahnhof reist. Die letzte Stunde habe ich diesen Wagen für mich und ich versuche zu wachen.

Was wird morgen ein Drama …

Viel zu lang schon nicht mehr

Ich bin wieder unterwegs. 

Ich habe mich seit Tagen darauf gefreut, die nächsten zwei Wochen aus dem Rucksack zu leben an den verschiedenen Orten. Ich habe bunte Hosen eingepackt und grüne Stulpen, dafür nichts, was man gemeinhin als Jacke bezeichnet. Ich habe einen anderen Zug genommen als den geplanten, fahre eine andere Strecke durch einen anderen Teil dieses Landes, auch wenn das Ziel das gleiche ist: eine kleine Stadt, die man über die Jahre vermisst.

Der Start/Die Stadt

Die Tragweite der Entscheidung, auf Kaffee zu verzichten, wird mir nach Monaten erst auf diesen blauen Sesseln bewusst. Es war die Gewissheit, unterwegs zu sein, die mit dem ersten Bahnkaffee im weißen Pappbecher vom Zugbegleiter serviert wurde, diese Gewissheit, in die ich mich wie in eine wohlige Decke einwickeln konnte, die lange zum Reisen dazugehört hat. Doch natürlich ist das Verklärung, und diese Zweieuroachtzig, die der Kaffee seinerzeit gekostet hat, habe ich in einem Reformhaus vor dem Hauptbahnhof in Sanddorn Bio-Fruchtschnitten investiert. Für die Fahrt und für das Reisegefühl.

Der Riegel/Das Essen

Während ich nach Norden schaukle und rase, erinnere ich mich als Kind die papiernen Adventskalendertürchen ganz vorsichtig geöffnet zu haben – nicht zu weit! – da meine Großmutter den Kalender, bevor sie ihn in die geheimnisvolle Kiste mit dem Weihnachtsschmuck und den Christbaumkugeln, die mir als Kind noch fragiler vorkamen als heute, für ein gutes weiteres Jahr auf dem Dachboden verstaute, gebügelt hat in der Hoffnung, die Türen blieben geschlossen und man könne ihn irgendwann später noch einmal verwenden. Sie war ebenso darauf bedacht, die ihr zugedachten Geschenke sorgfältig zu entpacken und das Papier im nächsten Jahr noch einmal zu gebrauchen.

Das Buch

Diese Großmutter ist nach all den Erfahrungen aus den letzten Jahren jene, die das Papier zerfetzt, jene, die uns lehren kann, was Leben bedeutet.

Pürreelinie 7

Das Gefühl, eine Abkehr vom Normalen, das oftmals in den Wäldern durch die Beine kriecht und anschließend den Rücken hinauf, das Gefühl geht ungefähr so: Die üblichen Steine, die man unter den Reifen spürt sind plötzlich nicht mehr wahrnehmbar, wenn die Musik in den Kopfhörer leise ist, hört man vielleicht ein Geräusch, das an ein kaum aufgeblasenes Schlauchboot erinnert, und dann irgendwann schlagen die Bremsflanken durch auf den Feldweg. Führt man keinen Ersatzschlauch, keine Luftpumpe und hilfreiches Werkzeug im Gepäck, verliert man einige Stunden zum Bus oder zur Bahn oder beim Warten auf einen Freund, der ein Auto besitzt.

Pause

Es beginnt die Jahreszeit, die ich herbeisehne seit ich Kind bin. Nicht weil ich im Winter geboren bin, sondern weil sie das Geräusch erweckt, das ich hören kann, wenn ich die Augen schließe: Das Knarzen des Schnees unter den Schuhen, irgendwo im Wald in völliger Stille. Ich wuchs zusammen auf mit einer Bernersennenhündin, die mir viele Stunden im Schnee bescherte. Damals waren die Spaziergänge ein Zwang, heute zehre ich von diesen Erinnerungen, die hinter dem Sportplatz liegen an den Rändern des Weges, der heute Naturlehrpfad ist.

Ich liebe die Abende, an denen das wunderschöne Mädchen erzählt, wie sie sich damals in ihrer WG mit Kohle die Gesichter schwärzten in einer kalten Dezembernacht jedes Jahr und loszogen, im Wald einen Weihnachtsbaum zu schlagen. Ich bin nie dabei gewesen, doch wenn ich die Augen schließe, habe ich die Geräusche dieser Nächte im Ohr, das Gewirr flüsternder Stimmen und das Knirschen des Schnees unter ihren Schuhen.

Pürreelinie 7

Sie hat heute Geburtstag und wir, wir sind im Zug unterwegs. Fort aus dem Regen.

Viele Grüße aus Meran. PS: Den Kindern geht’s gut.

Es gibt in München ein Computergeschäft – zwar nicht in nächster Nähe, wohl aber (wie man so sagt) um’s Eck – an dem ich immer vorbeiradle, wenn ich an den Wochenenden der Croissants wegen eine kleine französische Bäckerei besuche. Als Jugendlicher stand ich oft in solchen Läden; zu jener Zeit war die Welt der Computer noch überschaubar: Es gab nur zwei Prozessoren und zwei Standards für Speicherbausteine. Während ich mich gestern in die Schlange in den Verkaufsräumen einreihte zwischen Studenten und Computerbild-bewaffneten Rentnern fiel mein Blick auf die Auslage: Prozessorkühler groß wie ein Kopf und Grafikkarten zum Preis eines Laufradsatzes für das Rennrad, das ich entgegen des Plans nicht in den Mietwagen bekam. Der Prüfstein gestern, die letzte Aktion: Noch einmal Technik, danach nur Natur.

Jaufenpass

Auf der Passstraße kam ich über eine Sache ins Denken, auch wegen des Kommentars zu einem der letzten Einträge, in dem es darum geht, dass einige Menschen finanziell auf Bonusprogramme und Angebote angewiesen sind. Irgendwo oben in Brenner (ich kann mich so gut erinnern, weil ich gerade an dem unsäglichen Outlet vorbeifuhr und an dem lange geschlossenen Lebensmittelgeschäft) fiel mir auf, dass ich niemanden kenne, der seine Lebensumstände permanent reflektiert. Egal welche Gesellschaftsschicht man fragt, lautet die Antwort des Großteils derselben, man verwende das Geld wenngleich nicht sparsam so doch mit Bedacht. Das sagt der mit seinem Ferrari auf der Theresienstraße Passanten beeindruckt wie einer, der im Supermarkt nach abgelaufenen Waren kramt. So natürlich auch ich, der überzeugt ist, man benötige für ein erfülltes Leben wenig mehr als ein Fahrrad, eine Wand voller Bücher und gute Musik. Ziemlich sicher noch eine Wohnung am See. Und wo wir dabei sind: ein altes italienisches Cabriolet.

Ist man unter seinesgleichen (und das sind die meisten), kommt man nicht auf die Idee, es gäbe etwas Billigeres und von dem Teureren sieht man nur Teile. Nach oben hin findet man den Lebenswandel der anderen absurd (ohne die Einzelheiten zu kennen, die einen noch kopfschüttelnder machten), nach unten hin – so man ihn überhaupt wahrnimmt – herrscht nur Bedauern und die Frage, ob das Geld, dass die haben, ausreichend ist. Allen reicht es jedoch meistens sehr gut. Ich kenne kaum jemanden der sagt, er verschwende sein Geld, hingegen einige, die nur das Nötigste kaufen, im einen Fall eben ein Sportwagen, im anderen die Currywurst im Sparangebot. In jedem Fall jedoch ist dies eine unbewusste Entscheidung in dem Sinne, von der Existenz des jeweils anderen nicht zu wissen; dies somit nicht nachvollziehen und überhaupt: keine Entscheidung treffen zu können.

Kurhaus

Das waren meine Gedanken, während ich über die alte Brenner-Passstraße fuhr. Dazwischen der alte bekannte, den ich auf dem Weg über die Berge immer schon denke: So ein Auto ist auch nicht viel teurer als ein Fahrrad, man hat natürlich das Problem, oben in München Parkplätze vor der Haustür zu finden. Aber das Passeiertal ist nur etwa 200 Kilometer entfernt, über den Brenner und den Jaufenpass hinab nach Meran. Und in Meran gibt es dieses alte Hotel, in dem man nur eine langsame und brüchige WLAN-Verbindung in der Lobby hat und einen Parkplatz im Hof. Viel wichtiger jedoch ist die Nähe zur Laubengasse und zum Aufstieg hinan zum Tappeinerweg, das erste Ziel gestern Abend meiner Flucht aus der Stadt auf den Berg. Das hört sich – unter uns – teurer an als es ist. Ich habe an der österreichischen Autobahnplakette gespart, bin Landstraße gefahren und habe sogar die restlichen Nudeln vom Tag zuvor mitgenommen, um sie oben am Berg, auf einer Bank, zu essen mit Blick über die Stadt. All das, die Fahrt, das Hotel, die Palmen und Sonne, all das war gestern alternativlos. Die Flucht – was ich als solche bezeichne – kam im letzten Moment.

Das hört sich dramatisch an, allein ich bin mir nicht sicher. Ich musste nur dringend raus.

Ein Mädchen, kaum 12 Moden alt

Vielleicht kommt irgendwann einer wie ich aus dem Alter heraus, in dem einem wie mir das Zugfahren Entspannung und Glück bedeutet. Im Moment sage ich mir »endlich« und »geht es wieder los«. Ich sehe die Anrufe auf meinem Handy und traue mich nicht heranzugehen, weil ich weiß, wie es um die Netzdeckung bestellt ist. Ich rufe zurück – Wenn Du das liest – wenn ich wieder festen Boden oder den Füßen spüre. Wenn ich lande, wenn die Ladung gelöscht ist.

Die alte Zuverlässigkeit

Und ich hatte mir vorgenommen, öfter zu schreiben. Ich hatte mir vorgenommen, morgen früh mit dem Rad über die Berge zu fahren. Nun fahre ich am Montag mit dem Auto oder dem Zug, es hat seine Gründe und so ein Berg läuft nun auch einmal nicht weg. Ich habe die letzten vier Stunden aus dem Fenster geschaut, bin an Industrieruinen vorbeigefahren und habe an Bahnhöfen gehalten mit euphemistischen Namen. Drüben im IRC beschwert sich einer über seine langsame DSL-Verbindung zu Hause; ich werde antworten im nächsten Bahnhof, dass es entspannend sein kann, wenn man darüber nicht im Moment telefoniert.

Widmung

Oder Fotos in seinen Blog laden möchte. Aus dem Zug. Zwei Stunden vor seinem Ziel.

– t: Georg Christoph Lichtenberg