I have a friend named foe

Wenn ich in Marburg sitze im Café am Grün – den Drang zum Vergleich hatte ich ja neulich erst thematisiert – dann fängt mich vor allem (neben der Selbstbedienung) dieser Aspekt und gibt mir das Gefühl der Heimat und des Hier bin ich richtig: Im Roten Stern wird mit Vertrauen bezahlt: Man holt die Getränke selbst an der Theke – es ist die gleiche geblieben über all diese Jahre, seit ich sie kenne, selbst die Gesichter dahinter wechseln nur selten – man kennt sich und wenn man geht, bezahlt man auf dem Weg hinaus in die Stadt.

Stühle im Roten Stern

Manchmal ist schwierig, sich an alles zu erinnern, das man trank und aß an diesem Tag. In meinem Notizbuch finden sich zahlreiche eingeschobene Strichlisten auf sonst leeren Seiten, mit denen ich mir die Getränke merkte bei ausgedehnten Besuchen. Ein einziges Mal vergaß ich zu zahlen, nachts fiel es mir ein. Am nächsten Morgen sprach mich eine an und fragte, ob es sein könnte, dass ich gestern das Zahlen vergessen hätte. Nicht böse, nicht vorwurfsvoll, vielleicht ein bisschen unsicher und ja: Ich wäre wahrscheinlich davongekommen, hätte ich es versucht.
Aber: So funktioniert dieses Café nicht. Sie vertrauen den Gästen, und diese sind (auch) deswegen ehrlich.

Kaffee an der Lahn

Ich habe Bedenken, dass dieses System in anderen Städten (zum Beispiel hier) ähnlich gut funktioniert wie in der kleinen Stadt an der Lahn. Ich grüble darüber, wie sich dieses Konzept übertragen lässt in einer Form, die auch hier umsetzbar ist und sich abhebt von den Vorstadtcafés, die den Münchener Chic anziehen, dem Pavesi, vor dem Geländewagen ständig in zweiter Reihe parken oder dem Tambosi, vor dem die Menschen sitzen wie am Rande eines Circus Maximus, durch den moderne Gladiatoren ihre Kompensationen für ihr KPI-gesteuertes Leben im Hamsterrad treiben. Das ist – natürlich – ein Traum und ein Traum wird es die nächste Zeit bleiben.

Vogel am Grün

Denn zur Zeit arbeite ich im Bereich der IT-Security, in dem ich acht Stunden am Tag von einer Welt ausgehen muss, in der jeder den anderen angreift und ausnutzen will. Eine Welt, die das Gegenteil dessen ist, weswegen ich den Roten Stern liebe.

Ambassador of Love

Das ist ein versöhnliches Wetter. Gerade hat es begonnen zu rengen, und in Kombination mit einem Feiertag ist das ein Wetter, das es gemütlich macht. Ich hatte gehofft, dass es in den letzten Tagen durchregnen und sich gegen Ende (heute!) aufklaren würde, denn da waren drei Räder, die repariert, gewartet, kurz: zerlegt und wieder zusammengebaut werden wollten. Und am Ende könnte man sie dann fahren.

Back

Ich hatte mich dafür vor unserer Fensterfront eingerichtet, den Teppich zur Seite geschoben und das Werkzeug sortiert; in Gedanken schien mir das eine romantische Vorstellung, während draußen der Regen an die Scheiben schlägt innen Rennlenker neu zu wickeln und Schaltungen zu montieren. Doch bei Sonne kann man die Fenster öffnen und die Sätze derjenigen klingen hinauf, die unten für ein Eis anstehen oder bereits eines bekamen. Das ist besser als Fernsehen und es ist ernüchternd, worüber unten gesprochen wird und wer wem was präsentiert. Ich weiß nicht, ob es an München liegt oder der Schickeria, für die ein Eis aus diesem Geschäft ein Statussymbol ist wie das Auto und wie die Kleidung. Nach zwei Fahrrädern hat man schließlich keine Lust mehr, in München zu leben, weil sich aus der Art und Weise jener dort unten die tägliche Erfahrung, das tägliche Handeln in der Stadt ableiten lässt.

Ugo de Rosa

Ein Freund erzählte mir vor wenigen Wochen, im Frühling stürben die Menschen. Letzte Woche hat zwei das Leben gekostet, unabhängig voneinander und mir bestenfalls entfernt nur bekannt. Und doch: Auf dem Weg in die Kaffeerösterei hat mich die Nachricht auf Twitter erwischt und mir an diesem Tag die Laune verdorben. Wir kannten uns eigentlich nicht, zweimal haben wir uns vielleicht geschrieben, kurze, 140 Zeichen lange Nachrichten. Und draußen schien verhalten die Sonne.

Cinelli Alter

Und unser Besuch war auf dem Weg an den See. Man muss sich die Leute einladen von draußen, die man zu selten sieht und an die man tagelang denkt. Es ist nicht, dass man in der neuen Stadt keine Freunde gefunden hat, und doch hängen die Gedanken fest an Orten und Menschen aus vergangenen Tagen: Ich messe jedes Café am Roten Stern, jede WG an meiner alten und meinen Arbeitsweg an meinem alten, an der alten Abdeckerei vorbei durch den Wald hinauf auf den Berg.

Steuerrohr of Love

Dafür hat es hier unten die Seen und die Berge, es hat die Straßen, die sich am Berghang hinaufschrauben und den Chiemsee mit dem Tegernseetal verbinden. Und manchmal setzen sich feiertags im Café – das ist mir früher niemals passiert – schwäbische BWL-Studenten neben dich, vielleicht sind sie ein Paar, und reden über Messestände von Luxusuhrenherstellern.

From Step One, To Nothing

Ja nein, einerseits andererseits.

Das ist alles nicht wirklich wichtig, was du erzählst. Zwischen wichtig und richtig liegt nur ein einzelner Buchstabe auf der deutschen Tastatur. Belanglosigkeit und stolz auf die eigene Leistung; ich weiß auch nicht, warum es mich nicht interessiert. Ist es so etwas wie Neid? Ist es einfach nur Desinteresse? Klar, das Zentrum Deiner Welt bist Du, natürlich ist Dein Blog ein Brennglas über diesem Ökosystem.

Walk, don't run!

Eine Freundin hat für ihren Sohn eine Welt in einem Einmachglas gebaut, in der es sogar regnet, wenn es lange genug in der Sonne steht. Irgendwann war die rettende Frischhaltefolie kaputt, die diese von der echten Welt trennte. Dort draußen gibt es eine Menge, das Deine Welt ernsthaft gefährdet; Frischhaltefolie mag nicht verrotten, doch ewig hält Frischhaltefolie nicht.

Du und Deine Echokammer.
Du hältst Dich für wichtig, nur weil Du ins Internet schreibst, bist Du es nicht. 

– t: Tias Carlson

Gegenwind formt den Charakter

Ich weiß nicht wofür du brennst
du glühst noch wenn du sprichst
von einer traumhaften Kindheit,
dem Stromspar-Bettlicht
und die Leuchtmasten werfen gelben Strom auf den Asphalt

Ich bin heute morgen Bestzeit gefahren auf der täglichen Strecke am Fluss raus ins Büro und doch bin ich unsicher, das Rennen zu gewinnen auf dem vorgesehenen Kurs, ob nicht vielleicht abzufahren und eine andere Strecke zu wählen eine gute Möglichkeit ist. Um abzukürzen vielleicht, möglicherweise ist die Strecke einfach schöner, unbekannt. Mag sein, dass da eine Rampe kommt, der Puls in den Spitzenbereich schießt und du einige Minuten bergab brauchst ohne zu treten, um dich zu erholen.

Bücher

Buch

Dort unten warten die Pässe, hier wartet nur das flache Land, über dem zwar oft die Sonne scheint, doch über das stadteinwärts ein starker Wind bläst wie eine Wand. Es soll noch einmal kalt werden in den kommenden Tagen. Ich nehme am Samstag den Nachtzug nach Frankreich; ich reise mit leichtem Gepäck.

Es ist mir egal
ich wünsche mir jemanden,
der nicht mehr geht
mit einem festen Halt

t: Die höchste Eisenbahn – Tschernobyl

Ich liege Viernull vorne, das ist ein sicheres Ding!

In diesem Café war ich am Dienstag zum ersten Mal. Es liegt auf dem Weg ins Büro, wenn man eine geschickte Route wählt, und es liegt in der Nähe unserer Wohnung. WLAN haben sie nicht (und es scheint, als macht genau das dieses Café angenehm ruhig), dafür eine Tageskarte mit veganen Gerichten, selbst gemachte Limonade und Sojamilch in den Kaffees. Vormittags scheint die Sonne durch die bodentiefen Fenster – als ich ankam, waren alle Plätze außen besetzt. Es ist Freitags eine gute Alternative zu der Wiese am See, die zehn Kilometer nördlich den halben Weg ins Büro markiert.

Café Josephina

Leute, dir mir in sozialen Netzwerken folgen, kennen einige der Fotos, die aussehen, als hätte ich Urlaub. Doch die Kunst ist, die Details nicht zu übersehen oder sie gar zu ignorieren, denn man hat vielleicht einen Termin schon vor Neun! Man muss vor kleinen Cafés und Konditoreien anhalten, das Fahrrad anschließen und sich einige Minuten Zeit nehmen für einen Cappuccino und ein Croissant; man darf sich nicht hetzen lassen, denn Zeit ist kein Geld.

Wiese am See

Ich habe das Glück, dass es egal ist, ob ich meine Texte und Anträge in einem Industriegebiet im Münchener Norden schreibe (von dem hier naturgemäß keine Fotos zu finden sind) oder an einem anderen der zahlreichen Orte der Stadt: In der Universität, in dem Café von 1960 oder eben in diesem kleinen Einraumcafé, das als Nachtisch einen übrigens ganz ausgezeichneten Apfel-Marzipan-Kuchen serviert.

Fenster zur Torte (Symbolfoto)

Eine Parallelstraße weiter liegt eine Konditorei, die weithin bekannt ist für ihre hervorragenden Torten. Es wäre grob fahrlässig, nachher nicht diesen Bogen zu fahren, bevor ich in den Süden der Stadt aufbreche zu einem gemeinsamen Abendessen mit Freunden. Denn mein Großvater wusste bereits: Wer viel arbeitet, der muss auch viel essen.

Arbeitsweg

Zeugnistag

Ich wundere mich, mit wem sie die ganze Zeit telefoniert, während ich in der Küche noch das Geschirr und die Töpfe abspüle. Sie hat den Brief meiner Mutter entdeckt, den großen braunen Umschlag, der heute Nachmittag kam. Als ich das Gefühl habe, sie stellt eine Frage, finde ich sie im großen Ohrensessel, kopfschüttelnd über den Stapel Dokumente hinweg lachend deutet sie mit dem Finger auf eine bestimmte Papierstelle und fragt ungläubig: »Eine Vier in Religion?«

Eine Vier in Religion

Meine Mutter schickte die gesammelten Zeugnisse meiner Schullaufbahn per Post. Jedenfalls die bis einschließlich Klasse 10, die späteren bleiben verschollen.

Ich erinnere mich, dass Schule und ich immer recht unterschiedliche Interessen vertraten, doch wie sich das im Einzelnen ausprägte, verdämmerte dankenswerterweise im Vergessen.

Bis gestern.

Ich kann also nicht behaupten, ein guter Schüler gewesen zu sein. Ich kann eigentlich auch nicht behaupten, ein sonderlich interessierter Schüler gewesen zu sein. Jedenfalls sagen das meine Lehrer. Mein Vater erzählt auf Familienfeiern oft von dem Satz »Niels schaut lieber aus dem Fenster als dem Unterricht zu folgen.« Ich weiß jetzt sicher, diesen Satz hat es so nie gegeben, jedenfalls nicht in schriftlicher Form auf einem Zeugnis. Die Beurteilungen aus den ersten beiden Schuljahren enthalten noch keine Noten, sie erfolgten ganzheitlich (…) und in prosaischem Stil. Auch wenn es den Satz meines Vaters nicht gibt, inhaltlich ist er zu finden.

Ich komme immer unter Zeitdruck

Als ich vor mehr als zwei Jahren in die Arbeitslosigkeit ging, heraus aus einem Bürokraten- und Verwalterjob, den ich nach drei Wochen in der Probezeit gekündigt habe – einem Trugbild erlegen habe ich mich als Unternehmensberater anstellen lassen – forderte mich eine der Firmen auf, bei denen ich mich bewarb, bitte auf jeden Fall noch mein Abiturzeugnis einzureichen. An jenem Punkt war die Kommunikation von meiner Seite beendet, da ich – nach mehreren erfolgreichen akademischen Abschlüssen – der Überzeugung war und bin, das Abiturzeugnis sei erstens nach mehr als zehn Jahren überholt und zweitens die Aufforderung zur Einreichung ein sicheres Zeichen, mit Paragraphenreitern bzw. Formular- und Prozessgläubigen in Kontakt zu sein, für die ich in meinem ganzen Leben nicht mehr arbeiten möchte: Der I. nannte sie treffend einmal I-Tüpferl-Scheißer.

Daran hat sich seitdem nichts geändert. Mit dem Blick auf die Zeugnisse kann ich mir nicht vorstellen, was diese Vier in Religion heute über mich aussagt. Ich weiß nicht, was die jahrelange und sehr erfolgreiche Mitgliedschaft in der Video-AG unseres Gymnasiums mit meinem heutigen Leben zu tun hat: Ich besitze seit langem keinen Fernseher mehr. Viel treffender und teilweise heute noch passend kommen mir die prosaischen Bewertungen aus den ersten beiden Schuljahren vor, denn tatsächliche schaute ich lieber aus dem Fenster, als langweiligem Unterricht zu folgen. Das ist, warum ich in Cafés sitze, das ist, weshalb ich gern reise.

Anschreiben meiner Mutter

Mir geht es nicht so, dass ich der Schule hinterhertrauere. Ich kann mich an einige Tage in den letzten Schuljahren erinnern, an denen ich in der Pause oder im Unterricht saß und hoffte, dass einen der Lehrer im Unterricht nicht aufruft und vortragen lässt. Wenn man zu Beginn der Oberstufe konsequent aufhört, Hausaufgaben zu machen, ist die durchaus schöne Zeit in der Schule, in der man seine Freunde jeden Tag sieht und einige Nachmittage frei und Zeit für fragwürdige Dinge hat, tatsächlich durchsetzt von so etwas wie einem permanenten schlechten Gewissen. Warum ich damals nicht einfach wieder begann, Hausaufgaben zu machen, warum ich mich dem Gewissen drei Jahre lang aussetzte und mich um meine Abschlussnote zu keiner Zeit kümmerte, bleibt in weiten Teilen unverständlich. Was und ob es überhaupt mehr über mich aussagt als über die Schule, die ich besuchte, darüber mache ich mir keine Gedanken.

Und ehrlich: Es ist mir egal.

Kindheit - ein literarisches Bilderbuch

Dreitortentag

Der Besuch hatte sich bereits Stunden vorher verabschiedet, als wir aus dem Haus traten auf die Straße in eine Menge von Menschen. Marathonläufer keuchten vorbei, doch fanden wir nicht heraus, ob wir in das Mittelfeld oder die Nachhut gerieten. Wir ließen uns ein Stück treiben in Richtung der Universität, einer Gruppe von Trommlern entgegen, die man an allen Marathonstrecken findet. Sie standen zu zehnt auf jener Kreuzung, die Museen in verschiedene Quadranten einteilt und sie schlugen einen Rhythmus, dem sich wenige Zuschauer entziehen konnten. Auch wir standen ein paar Sekunden, ließen uns dann fortreißen, zwischen uns schleppten sich die Läufer hindurch.

Eigentlich ein Kuchen

Wenn man das Hauptgebäude der Universität betritt, einen kleinen Lichthof durchmisst und im darauf folgenden Gebäude links in einem Gang folgt, an dessen Wänden Schaukästen die Anschläge des Prüfungsamts präsentieren, gelangt man in ein helles und weitläufiges Treppenhaus, in dem sich breite Stufen emporschrauben in den fünften Stock, auf das Dach. Es gibt einen Fahrstuhl, an dessen Warteschlange wir uns vorbeidrückten, der bis in den vierten Stock fährt, doch für die letzte, etwas abseits liegende Treppe gibt es keine Alternative. Sie führt in einen kleinen, karg eingerichteten Raum: In das Café dieses Forums, das zum Fachbereich Architektur gehört und seinen Besuchern die Epoche der Klassischen Moderne präsentiert. Junge Menschen stehen in Mäandern vor der Kaffeeausgabe, draußen auf der Dachterrasse stehen lose Stühle, und jene, die nicht in Gruppen sitzen, richten sie aus in Richtung der Alpen. Klassische Moderne: Flugzeughangar im Winter, ein leeres Speicherkabinett mit Blick auf die Berge.

Torte und Tee

Der Concierge schaut uns freundlich entgegen und weist uns den Weg: Links liegen die Aufzüge und im siebenten Stock sei die Terrasse und das Café, einen Stock überhalb des Schwimmbeckens auf dem Dach dieses Hotels. Gäste in Handtüchern oder Bademänteln bestellen sich eine Erfrischung mit Kokosraspeln, wir sitzen neben zwei jungen Männern, die einen Sekt im Eiskübel bestellen, anstoßen und beim Sprechen nicht aufeinander achten, den jeweils anderen geradezu missachtend über ihn hinwegsehen – ich beobachte sie lange mit ihrer übertriebenen Mimik, die sich nicht anblicken beim Reden, als kennten sie sich seit einem halben Jahrhundert, als führten sie eine eingerostete Ehe, in der alles Gewohnheit ist, eingespielt, alles eingeschliffen, geprägt. Es kommen Gruppen von Frauen heraus, die sich laut unterhalten, im hinteren Teil der Terrasse beschwert sich ein in Handtücher gekleideter Hotelgast beim stoisch mechanisch dreinschauenden Kellner, der pflichtbewusst einen Teller in die Küche zurückträgt. Als wir gehen, nehmen zwei ältere Herren unseren Tisch, ich verabschiede mich, beide schauen grußlos an uns zweien vorbei, als gäbe es keinen von uns.

Gedeck

Vivaldi, das wunderschöne Mädchen und ich sitzen am Tisch, wir haben das beste Geschirr aufgedeckt und in der Bäckerei eine Straße entfernt eine Torte gekauft. Unten sammeln sie die Pylone ein, die Nachhut ist eingebogen auf die letzten Kilometer des Laufs, während hinter ihnen eine Gruppe älterer Männer bereits die Absperrgitter auf den LKW heben. Unser Tee knistert in der Kanne, wenn wir sie zurückstellen auf das Stövchen, weil sich durch die Hitze am Boden kleine Blasen bilden. Das letzte Stück Torte mit Blick auf den Asphalt, auf dem sich bereits ungeduldige Sportwagenpiloten den desinteressierten Menschen präsentieren, die noch an der Rändern der Strecke verweilen. Sie sind auf dem Weg auf die nächste Dachterrasse, Sekt oder Champagner zu trinken, in eine Umgebung, die hallt und die Menschen, die einen Kindle besitzen, wahrscheinlich als schlicht und modern euphemisieren.

Bleekenwarf

Seit zwei Tagen ist die S. zu Besuch. Die S. kenne ich seit mehreren Jahren, ich habe früher mit ihr zusammengelebt. Und immer wenn ich an die S. denke, erinnere ich eine Situation, die kurz nachdem wir uns kennenlernten passierte: Sie saß mir gegenüber, während die alte Vierzigwattbirne unter dem damals schon verstaubten Lampenschirm mühevoll versuchte, das Zimmer zu beleuchten, in dem unsere WG häufig zusammen aß und das meinem Zimmer gegenüberlag. An den Fachwerkbalken hatte vor Jahren jemand eine Lichterkette angebracht und an der Decke des Zimmers erinnerten noch einige handgemalte Bilder von Fischen und Seerosenblättern an eine WG-Party, die lange stattfand bevor ich einzog in dieses Haus und die irgendein Unterwasser-Motto besaß.

Habt einen schönen Tag!

In einer dunklen Ecke hing Brunhilde, die Pflanze, von der niemand mehr wusste, wie und wann sie zu ihrem Namen gekommen war. Überhaupt hatten viele Dinge Namen, wie Frau Hoffmann, die Katze, oder der Hefeteig in der Küche, der Hermann hieß, und der zwei Mal jede Woche geteilt und aus dessen kleinerer Hälfte ein Kuchen gebacken wurde. In diesem Raum unter dem Dach saßen wir also, als die S. mich plötzlich fragte, wann ich geboren sei. Ich nannte ihr das Datum, doch sie fiel mir noch im Monatsnamen ins Wort und sagte »Nein, ich meine die Uhrzeit«.

Rom

Die S. ist also hier und mit ihr eine Menge Erinnerungen von damals, als wir uns das Stockwerk in dem alten Haus teilten, das Bad und viele Abende mit T. und der J. in dem WG-Zimmer. Die S., die irgendwann einmal in meinem Bett schlief, als ich unterwegs war. Weil ich vergessen hatte, den Wecker auszuschalten, schrieb sie mir am nächsten Morgen eine SMS, sie hätte kurzerhand mein halbes Zimmer entkabelt. Aber nun, endlich, sei das Ding aus.

Schuld und Sühne

Mit der S. sind auch all die Vorsätze wieder da, irgendwann demnächst wieder die kleine Stadt zu besuchen, den Kontakt zu T. und der J. zu intensivieren – aufzuwecken wäre des bessere Wort – ja, generell an der Idee weiterzuarbeiten, die J. und den T. wieder in einem Haus zusammenzupacken, vorzugsweise hier unten an einem See und wieder zusammen zu leben, in einer Lebensgemeinschaft mit den Menschen, die mir so viel bedeuten, von denen ich vieles erfuhr.

Nonne

Gestern Abend saßen wir drüben im Zimmer, in dem sie schläft, an der Fensterfront und sprachen über Lebensformen und Wahrnehmung. Als ich in die Grimm-WG einzog – vor fünfeinhalb Jahren – arbeitete ich bereits seit ein paar Monaten in einer Arbeitsgruppe an der dortigen Universität. Ein Kollege stellte mir damals die Frage, wann ich denn nun endlich umziehen würde in eine richtige Wohnung, die Zeit der WGs sei doch nun, wo ich richtiges – er sagte: richtiges! – Geld verdiene, endlich vorbei. Doch das kam mir damals schon komisch vor, denn auch wenn ich mit dem wunderschönen Mädchen hier alleine wohne, träumen wir beide von einem Hof, auf dem auch andere leben. Manchmal sprechen wir darüber, wenn wir auf das Museum schauen, oft wenn es regnet, und stimmen überein, dass das doch was wäre: Ein Hof am Ufer eines der Seen, und die J. und den T. bei sich zu wissen. Sie lachen, immer wenn ich davon erzähle.

Engel

Doch, liebe J., lieber T., ich kann warten. Ich habe noch Zeit.

In Fat we Trust

Das wunderschöne Mädchen tippt mir auf die Brust und sagt »ich verstehe nicht, dass du ein T-Shirt trägst, auf dem eine Kuh in einen Burger verwandelt wird.« Ich hole etwas aus, erzähle von einem früheren Geburtstag – es muss acht Jahre her sein – und vom seltsamen Humor meiner Exfreundin und eines guten Freundes, der heute in Berlin lebt und den ich viel zu selten sehe. 

Campagnolo Record Titanium Schaltwerk

Morgen früh werden wir in Rom in einem Straßencafé sitzen, frühstücken und uns überlegen, wie wir die folgenden Tage verbringen. Ich werde ein wenig arbeiten (schreiben), während wir in der Nähe des Petersdoms oder gegenüber des Kolosseums in der Sonne sitzen und werde darüber nachdenken, wohin es mich in den nächsten Monaten zieht. Zur Zeit arbeite ich drei Tage die Woche bei dem Sicherheitsinstitut, und die übrigen zwei Tage pro Woche mit anderen Dingen zu füllen fällt mir noch schwer: Zwar erzähle ich vielen, dass ich Zeit für andere Projekte habe und komme dadurch zu Gelegenheiten – ich halte Vorträge, gebe Feedback zu Texten und schreibe jetzt für ein Blog der F.A.Z. – aber ich verbringe die zwei freien Tage pro Woche nicht so häufig in Cafés wie ich das ursprünglich wollte. (Aber das Wetter in den letzten Woche war schlecht und die Alltagskiste hat keine Schutzbleche.)

Giant X-Sport

In Rom, in der Sonne, werde ich mir bei einem Cappuccino Gedanken über die nächsten Schritte machen; vielleicht brauche ich einfach nur Zeit. Ein Freund sagte gestern, ich solle mit mir geduldiger sein. »Allein in den vergangenen Wochen hast du Dinge getan, für die du vorher keine Zeit gehabt hast.« Zum Beispiel: Das neue Rennrad liegt nicht mehr in Einzelteilen vor mir. Doch ist das nichts, was in den nächsten Monaten die Lücke im Geldbeutel füllt, nichts womit ich mir Croissants, Torten und Tee kaufen kann.

Campagnolo Super Record Skeleton Bremsen

Aber: Ich bin – das merke ich selbst – einen Schritt weiter in jene Richtung gegangen, die mir (trotz allem) richtig erscheint: Das geographisch ungebundene Arbeiten (wie gesagt: Das Kolosseum in Rom!) und die Vielfalt durch verschiedene Jobs. Nun muss ich die Tage nur noch besser füllen und mich besinnen auf meine Stärken, die vielleicht gar nicht so häufig anzutreffen sind: Ein Informatiker, der Reden will und der Reden kann. Nur von diesem T-Shirt – und mit ihm jenem seltsamen Humor – darf niemand wissen. Dieses T-Shirt trage ich nur nachts.

Die Wahl

Den Wahlsonntag habe ich irgendwo zwischen München und Pfaffenhofen verbracht, möglichst weit weg vom Ausnahmezustand, der München zur Zeit heimsucht. Ich dachte mir, wenn mich schon ein Betrunkener überfährt, möchte ich wenigstens gut aussehen, zog also die neuen Schuhe mit den Weltmeisterstreifen an und putzte das Rad heraus, das mich neulich noch nach Italien trug. Die Schuhe waren Belohnung dafür.

Sidi Wire Carbon Vernice Rennradschuh - Edition Tony Martin

Nächste Woche fahre ich wieder in Italien, diesmal mit dem Nachtzug nach Rom. Weil sie auf dem Ausnahmezustand ein italienisches Wochenende haben, bekamen wir gerade noch das letzte freie Abteil. Die Dame am Schalter schaute mich bei der Buchung verständnisvoll an, sagte, sie würde auch gern in den Süden flüchten in Wochen wie diesen, denn viele Menschen am Bahnhof seinen in einem bedenklichen Zustand. Drei Jahre sei sie jetzt hier, drei Jahre hat sie sich herauswinden können aus dem Gruppenausflug ins Bierzelt. Ich weiß was sie meint.

Kuchen

Das Dachauer Hinterland, das mich durch den Sonntag begleitete, ist weder Italien noch hübsch. Langweilig würde es nicht treffen, doch ich habe mich zweimal beim Gedanken erwischt, wie es wohl ist, durch die Gegend zu fahren, in der ich aufgewachsen bin. Im Süden sind die Farben schöner, das Grün intensiver und jenseits des Alpenhauptkamms hat die Sonne ein anderes Licht. Aber es reicht, nach Süden die Stadt zu verlassen, der Norden hat mich nicht überzeugt.

Dachauer Hinterland

Am Wochenende habe ich außerdem das – noch immer habe ich keinen guten Namen – Alltagsfahrrad (das klingt viel zu unspektakulär!) umgebaut: Endlich ein Rennlenker, endlich Bremsschalthebel wie an den Rennrädern. Die Stunden im Keller sind beinahe so schön wie die Fahrt. Es ist: Mit den Händen zu schaffen, Probleme zu lösen. Der Vorgang dabei ähnelt sich stets: Man tritt zurück, kratzt sich am Kinn und dann fällt einem eines der anderen Fahrräder oder das alte Holzkisterl ein, das genau dieses Teil beherbergt, dass man gerade sucht. Man braucht nur ein bisschen Spaß am Probieren, etwas Zeit und eine ausreichende Anzahl anderer Räder.