Daily Promenade

«Alexander, das ist der Wald» sage ich auf die Bäume deutend, unter ihnen Reste von Schnee.
«Danke für die Einführung.» – «Das ist mir oft lieber als Menschen, er ist nicht so laut.»

Tal

Ich habe nach Ferienhäusern auf Helgoland gesucht, denn ich muss an die Küste. Vielleicht fahre ich auf dem Weg von dem See direkt weiter, vielleicht halte ich kurz inne unterwegs. Es läuft derzeit ziemlich viel gut, wenngleich sich vieles zerstreut. Aber: Dann ist’s nicht so laut.

In jenen Momenten, die ich sehr schätze, sitzen wir gemeinsam oder allein auf den Bergen und schauen ins Tal. Oder auf das Wasser davor. Ich bringe Fotos von dort.
Für die Kinder und uns.

Tummetott

Frau Hoffmann reibt sich an meiner Tasse, in der irgendein Tee mit Baldrian zieht. Soviel Liebe hat sie mir noch nie gegeben. Ich sitze daneben, beobachtend und schwanke zwischen Lächeln und Verzweiflung, weil ich nur eben kurz etwas machen wollte; und nun haben wir zwanzig nach Vier. «Du Katze, du irre» denke ich noch, «wie oft ich dich beneide und nun drehst du zu solch unmöglicher Zeit neben mir durch.»
Es soll wie ein Lob klingen. Bevor sie die nächste Runde mit dem Teebeutel ficht.

Draußen ziehen die Kehrmänner vorüber und ich glaube für den Moment, seine Stimme zu hören. Als ich herausschaue sind es bloß die üblichen verdächtigen zwei. Ich höre das Bett, es ruft mich.
«Ich würde ja gern, weißt du, ich erledige das bloß eben noch schnell.»

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust

Heute lag ein Brief in der Post, ein einziger nur für dieses ganze Haus und er war für mich. Ich erkannte ihn sofort am Briefumschlag; ich war mir vom ersten Moment sicher, dass es die Freundin aus Hannover war, die schrieb. Darin ein Foto, ein Foto von mir, das auf der Zwischenlandung ihres Fluges nach Istanbul im September des letzten Jahres entstand. Darauf trage ich einen Anzug.

Obwohl man den Anzug nicht gut erkennt, erahnt man doch, dass er mir steht. Ich trage Anzüge gern und doch viel zu selten. Zur Zeit trifft man mich im Wald vorrangig in Blue Jeans, einem grauen Troyer und Wanderstiefeln: Der Anzug und die dazu passenden Schuhe eigenen sich nicht für den Weg über zugeschneite Wege. Ein Kollege sagt, meinte ich das mit den Anzügen ernst, hätte ich einen für untertags im Büro. Das ist natürlich Quatsch, außerdem sind Anzüge in unseren Gebäuden dort oben Perlen vor (in diesem Bereich) apathische Säue.

Gleichzeitig will ich nicht auf die Wanderung (oder die Radfahrt) durch den Wald verzichten; ich trage auch den Troyer gern und in öffentlichen Nahverkehrsmitteln wie den Bussen dieser kleinen Stadt wird mir zuverlässig flau. Ich genieße die Luft und das Fehlen der Menschen, die in Bussen stets niesen und husten.

So hat beides seine Seiten die ich sehr schätze. Auf Fotos machen sich Anzüge selbstredend besser, doch:

Hab ich das eine
vermiss‘ ich das andere.

Ich habe in der letzten Woche viermal zwischen zwei Handys gewechselt – aus vergleichbaren Gründen. Mit meinem Wunschberuf verhält es sich ähnlich, ebenso mit der Stadt, ich der gern lebte (nicht einmal das Land!).

Hört das irgendwann auf?
(Es ist recht anstrengend so.)

Berlin

Als ich heute Abend mit dreißigminütiger Verspätung am Berliner Hauptbahnhof den Zug verließ, bereute ich (ungefähr zum dritten Mal), dass ich mich für eine Anzugshose und Halbschuhe entschieden hatte (der Kollege, der mich bat, zu diesem Meeting zu kommen, sagte, man sei in diesem Projekt noch recht förmlich; da es keines «meiner» Projekte ist, entschied ich mich für diese unpassende Kleidung – er lachte später im Zug und erklärte, er meinte damit das Siezen). Im Hotel heißen sie mich wärmstens willkommen, weisen per Aushang auf die momentane (-11°C) und gefühlte Außentemperatur (-18°C) hin. Und darauf, dass man hier versuche, die Welt zu retten und daher in den Zimmern keinerlei Waschlotionen und dergleichen zu finden seien, diese aber selbstverständlich – so ich nichts dergleichen mitgebracht hätte – zur Verfügung ständen, Ich verwies auf das Argument der Weltrettung und nahm eine Tube Weleda-Shampoo in Empfang, während der Portier mir köstlich amüsiert auf die Schulter schlug.

Etwa zwanzig Minuten Fußweg entfernt steht das Theater am Schiffbauerdamm an der zugefrorenen Spree. Es wäre mit Nahverkehrsmitteln sehr schnell zu erreichen, doch die Straßenbahn speit mich bereits an der nächsten Station wieder ins Freie: Wegen eines Staatsbesuchs. Später erfahre ich, dass sie die Stadt festungsgleich absichern wegen des Besuchs Shimon Peres‘ und erinnere die ständigen Patrouillen vor den Toren der Jüdischen Gemeinde, die mir aus jener Zeit im Gedächtnis haften, in der ich regelmäßig in dieser Stadt schlief.

23:21

Aus dieser Zeit kenne ich auch das Circus, jenes Hotel, in dem ich heute zum ersten Mal schlafe. Gegenüber, in der Bar unter dem Hostel, habe ich den norwegischen Freund auf einem der Konzerte seiner Deutschlandtour zum letzten Mal gesprochen und gesehen. Und in der Nähe, ein wenig die Straße herunter, wohnt jemand, den sie mir vorgestellt hat. Sie weiß bestimmt zehn Menschen hier zu besuchen, mir fällt die Nennung eines einzelnen Namens schwer.

Ich streite mich mit Berlin über Aspekte; über die Rauheit und Lautstärke an den Bahnstationen, was sie «Berliner Schnauze» nennen oder dem Schmutz in den Gassen. Dennoch ist es seltsam vertraut, wieder hier zu sein. Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit als diesen Abend, an dem es zu kalt ist, um draußen zu sein.
Im Sommer vielleicht.
Dann wieder zusammen.

Die Zigarette für den Weg nach Haus

Ich bin – glaube ich -, was man gemeinhin als bedingt partyfähig bezeichnet. Was ich weiß, ist folgendes:

Mit Thomas Bernhard sozialisiert (auf ihn, allerdings nicht allein, berufe ich mich oft) eilt mir ein gewisser gesellschaftlicher Pessimismus voraus. Gesellschaft ist mir lieb, wenn sie in ruhigen Gesprächen auf gemütlichen Sitzgelegenheiten stattfindet, das letzte mal auf einem Flur mit einem Bier in der Hand stand ich auf einer Party wegen des Mädchens, bei dem ich heute wochenends schlafe. Doch sie war damals nicht dort.

Letzten Samstag war sie es, unter den Leuten in der Gesellschaft, die sich in meinem Zimmer, weiters im ganzen Haus eingefunden hatte. Ich hatte mich als König verkleidet und an der kurzen Stirnseite des Zimmers auf dem eigens installierten Thron Platz genommen, von dem aus ich die Tür in gutem Überblick behielt. So nahm der Abend seinen Lauf, Gäste kamen und gingen, einige von weiter fort, viele mir Unbekannte, die jemanden kannten, der jemanden kannte; eine typische WG-Party. Viele waren sehr nett und wenn ich nicht im Thronsaal saß, mäanderte ich durch die geschmückten Zimmer des Hauses und hatte erfreuliche Treffen.

Um halb vier Uhr morgens wäre ich gerne nach Hause gegangen. Der Tagesrhythmus forderte seinen Tribut und wer zu der Zeit im Thronsaal weilte, konnte nur ein gutmütiger König ertragen, der ich um diese Uhrzeit nicht war. Das ist, was ich meine (dort oben).
Gesellschaft findet häufig auߟerhalb meiner Betriebszeiten statt.

Am Schönsten ist es doch immer mit ihr und wenigen anderen am Fluss dieser Stadt (oder in gemütlichen Sesseln).

Bleibe!

Hier innen frieren die Scheiben. Ich besitze nichts, womit ich das festhalten kann – ich besitze nichts, womit ich dich festhalten kann. So bleibt nur das Vertrauen.

Die Zeit, sagst du, rennt; seit gestern fühle ich mich jünger. Doch wenn dieser Plan, den wir teilen, wirklich wird, stelle ich hohe Ansprüche an mich selbst (und uns), Sorge tragend, vor mir zu versagen. Trotzdem bin ich sicher: So bleibt das Vertrauen.

Und wenn wir morgen zur Zusammenkunft laden, wenn die Freunde bei Käse und Wein (und guter Musik!) einander anlachen und reden, dann werde ich lieben was ich heute noch hasste; dann werden wir dankend einander zunicken können und sagen ,,wie immer war’s toll“,
so bleibt das.

Und nu?

Marokko liegt hinter uns; wie man sich zuredet, haben wir das ordentlich absolviert. Ausgerüstet mit einem Reiseführer, in dem stand, man solle sich vor rohem und mit örtlichem Wasser gewaschenen Gemüse in Acht nehmen … die Krankenhäuser in Marokko sind auf ihre Art und Weise beeindruckend. Gut, dass ich dort nicht lag und wir abends den Flieger nehmen konnten. Die Speisen sind, so man sie überlebt, was mich heute in die Sportgeschäfte der kleinen Stadt trieb. Der Spiegel lacht noch (seit gestern) und obwohl ich jetzt an den Geräten sein wollte, schreibe ich diesen Text.
(Aber meinem Magen geht es noch nicht wirklich gut!)

Ich dachte, ich sei zu alt für Vorsätze. Ich bin tatsächlich zu alt, um sie öffentlich zu zelebrieren.
Doch die Liste ist tatsächlich länger als Sport.

Im Januar (Nie mehr zurück!)

Ich sitze an dem kleinen Schreibtisch unter dem Dach und schaue durch in der Schräge eingelassenen Fenster, die vor einer Woche komplett zugefroren waren, auf die umstehenden Häuser. Daneben stapeln sich ungelesene Zeitungen, deren Lektüre ich mir für den Zug und das Flugzeug bewahre. Ein Stapel Bücher schweigt mich vorwurfsvoll an, das einzig gelesene Buch davon räumte ich gestern zurück in den Schrank.

Der erste Termin nächsten Jahres

In wenigen Stunden sitze ich am Meer in einem Hotel auf den Felsen, dessen Fenster nach Westen blicken. Ich werde – das ist das Drama – nicht zum Schreiben kommen und nur selten zum Lesen, wie ich in den vergangenen Monaten nicht zum Schreiben und nur spärlich zum Lesen gekommen bin.

Ich habe mir ausgesucht, wie es ist.
Stattdessen werde ich reden.

Il Medeghino

Betritt man den Laden des sizilianischen Schusters, dem ich meine Schuhe bisher anvertraute, fällt der Blick sofort auf eine ältere DeLonghi Erspressomaschine, die Platz gefunden hat auf einem mit Lederschuhen überladenen Tresen. An der Wand zeugen unzählige Fotos von der Bekanntschaft mit zahlreichen Berühmten und Unbekannten; Unter anderem hängt das in diesen Kreisen vielleicht unvermeidbare und vergilbte Portrait des Padre Pio hinter der Kasse.
Verschwindet er in seiner Werkstatt, um letzte Arbeiten am abzuholenden Schuhwerk auszuführen (er hält seine Prognose für die benötigte Zeit auf die Minute ein!), bleibt Gelegenheit, diese Bilder ausgiebig zu studieren. Die beim Eintreten dem Rücken zugewandte Wand unterscheidet sich von der ihr gegenüberliegenden nur durch die weit über Kopfhöhe angebrachte beeindruckend große Karte Siziliens, deren Städte und Straßen man unten stehend nicht entziffern kann.

Barracuda

Irgendwann schweift der Blick über die deckenhohen Regale an den verbleibenden Wänden dieses kleinen Raumes, die dem Tresen mit guten Beispiel vorangehen und die ihnen zur Aufbewahrung überantworteten Schuhe mit lieber Not verwahren. An einem dieser Regale hängt eine abgegriffene Visitenkarte, die außer dem Vor- und Nachnahmen des geschäftigen Schusters auch seinen Mittelnamen trägt: Medici.

Das Schloss

Man muss schon Kafka gelesen haben, um diese deutsche Bürokratie mit einer gewissen Gelassenheit zu ertragen.

Ich kehrte gerade zurück von einem Spaziergang, den ich mit Kafka in der einen und einem alten Freund an der anderen Hand erledigt hatte. Hier oben unter dem Dach herrscht für gewöhnlich eine gemütliche Temperatur, aber irgendwann vor dem Tag der Deutschen Einheit ist eine Pumpe ausgefallen und hat das Haus in eine fahle Kühle gelegt. Der alte Freund hat darauf verzichtet, nach oben zu kommen und einen Tee einzunehmen, so blieb mir die Ruhe am Nachmittag, die von einfach verglasten Fenstern gegen die Lärmenden unten auf der Gasse verteidigt wird.

War es nicht an einem Sonntag nachmittag?

Man kann diese Stadt sehr gut orthogonal zu den Straßen durchqueren, die jene benutzen. So kommt man zu einem alten Café, in das sich selten Touristen verirren. Selbst Barbour-Jacken trägt man hier selten, man kennt sich und nickt sich wohlwollend zu. Es ist eines dieser Cafés, in das man gern allein geht, man begegnet sich dort wie selbstverständlich. So saßen wir nur wenige Stunden zuvor an einem der hinteren Tische und haben – wie man sagt – den Sonntag genossen.

Den Tee trank ich schließlich (hier oben) allein, die letzte Tasse hinterlässt noch ihren Atem in der Kühle des Raums, die sich die Kerzen langsam geschlagen gibt. Frau Hoffmann – die Katze – zuckt schlafend im Bett, sie werde ich gleich zur Seite schieben und irgendwann heute Nacht in die Gasse entlassen. Die Woche kann kommen.

(Foto: Peryton – Marburg, 16. August 2009)