Niels and the Trees

PforteDen Weg, den ich einschlage, hat noch niemand ausgetreten an diesem Morgen. Der Schnee der vergangenen Nacht liegt unberührt, ich bin der erste, der diesen Weg wählt. Vielleicht, weil er auch bei gutem Wetter selten genutzt wird, führt er doch parallel einer geteerten Straße hinein in den Wald.

Ich schreibe wenig später in mein Telefon, dass der Traum des Mehrgenerationenhofs unten am See keinesfalls einer bleiben dürfe. Ich nehme mir vor, leben zu lernen; ich fühle mich inkompetent wie selten, frage, warum ich nicht öfter staunend im Wald stehe. Der Wind wirft mir leichten Schnee von den Zweigen ins Gesicht wie ein Hund, der Dich neckt, weil er spielen möchte.

Laterne

Es ist dieser Weg, der mir die kleine Stadt lebenswert macht, im Sommer wie jetzt. Es ist der letzte Winter zwischen den Ästen, zwischen den Stämmen, die mir zuschauten in den vergangenen Jahren, die mehr mit mir teilen als viele dort unten zwischen den Häusern, als viele dort in den schönen Gassen der Stadt.

Ich nehme mir vor, leben zu lernen.
Ich sage den Bäumen leise «Good-bye» und «Herzlichen Dank».

Ein Date mit dem Dalai Lama

Ich habe in den letzten Wochen und Monaten für meine Verhältnisse sehr viele Filme gesehen. Obwohl mir alle gefielen, stach doch eine einzelne Szene im Film Pianomania deutlich heraus. Eine einzige, die viel mit der eigenen Sicht auf die Welt und dem Umgang mit Herausforderungen zu tun hat.

Die neue alte Lampe

Für alle Dinge, die gerade geschehen – und gerade passiert ziemlich viel – habe ich eigentlich keine Zeit. Keine Zeit mich zu freuen und gar zu planen, mit einem Auge bin ich irgendwie immer schon weg. Weiter. Zurück.

Nicht, dass sich das ändert; ich weiß, das ändert sich nicht. Jedenfalls nicht diesen Dezember.

Es leidet gerade so viel.

«Tut mir leid.»

Pianomania erscheint im April 2011 auf DVD.

rosablond

Die Mundwinkel sind schon wieder gerissen und ich bin mir nicht sicher, kommt das vom Schreien?

Westend Peru

Wir haben ungefähr siebenhundert Punkte auf der Liste, die wir unseren Kindern nicht verböten, hätten wir welche. Wir würden in Cafés gehen wie dieses, wo sie Moby spielen zum Soya-Milch-Kaffee, in dem man allein sein und nachdenken kann. Wir können Tage verbringen an Orten wie diesem, mit Lesen, Beobachten, mit Schreiben und Schweigen. Ich ein wenig länger als sie, die es stets hinaus zieht, stets auf die Straßen – aus den gleichen Gründen, wegen denen ich alleine hier sitze; sie ist unterwegs.

Sie sagt, das mit den Mundwinkeln käme vom Mangel an Vitaminen. Von der Ernährung und von der Art, wie ich lebe.

Ich kratze sie immer wieder auf, damit ich sehen kann
wie es früher einmal war & wie es niemals wieder wird

— Tomte – Doof vorkommen

An einem Sonntag im August

Es ist ein bisschen wie in Berlin, es ist nur nicht so voll. Hier toben Kinder durch das Café, ihr Vater versucht zu beruhigen, ihre Mutter liest eMails auf einem BlackBerry. Ein Unterschied: in Berlin hätte sie dafür ein iPhone benutzt.An einem Sonntag ende Oktober

Ein Mann stürmt hinein mit nach hinten gegelter Frisur. Er bestellt im Vorbeigehen einen Espresso to go, zückt währenddessen sein Telefon und nimmt Kurs auf eine der Lautsprecherboxen, aus denen Lounge-Musik eine gemütliche Athmosphäre ausstrahlt. Eine halbe Minute später drängt er zurück an die Theke und streckt der Bedienung sein neues iPhone entgegen, schwärmt von dem Lied, liest vor wie es heißt und wie praktisch eine solche Software doch sei, mit der man …
«und so weiter» glaube ich auf dem Gesicht hinter der Theke zu lesen.

In der Hauptstadt sieht man Freitag-Taschen sehr oft, hier ist Louis Vuitton modern. Die Menschen tragen im Winter Wellensteyn-Jacken und viele trinken Smoothies statt einen Kaffee mit Milch. Es gibt hier keinen Raucherbereich und die Gäste haben häufiger Kinder.

Ein bisschen ist es wie in Berlin, wie in diesem Café im Prenzlauer Berg, in dem ich vor zwei Jahren zum letzten mal saß. Dort ist es ruhiger. Harmonischer.

Eine Familie. Die Mutter trägt silberne Creolen, begrüßt überschwänglich ihre Freundinnen, sie sind nicht viel älter als ich. Sie reden über Kinder ausschließlich, jede hat mindestens eins auf dem Arm, die sich gegenseitig animieren zu schreien. Ein Vater, der eine der Frauen begleitet, sitzt ins Leere oder ins Telefon starrend an einem Tisch nebenan. Er kaut seinen Bagle und bietet seiner Tochter liebevoll etwas an, wenn sie als Einzige vorbeischaut mit fragendem Blick, wie es ihm geht. Ein Vater, eine Mutter, dazwischen die Tochter. Eine Familie.

In das Café im Prenzlauer Berg ging man naturgemäß selbstverständlich allein.

Mein Hals!

Man sagt, Männer wären wehleidiger als Frauen; ich glaube, das liegt in erster Linie daran, dass das männliche Nervensystem die Schmerzen in ungeheurer Intensität überträgt. Freute ich mich gestern noch auf den heutigen abendlichen Termin, wünsche ich mich jetzt in ihr Bett und ihre Gegenwart mit dem omnipräsenten «Möchtest Du einen Tee/eine Massage/schlafen?» in der Luft. Ich würde bei der viertelstündlichen Visite gestikulieren, dass mit diesen Schmerzen an Schlaf nicht zu denken sei, ein Tee mit Honig aus dem Ural allerdings durchaus noch drin.

Dafür werde ich heute abend also nicht mitsingen und sie bei «In my life» ein bisschen fester an mich drücken als sonst. Damit sie zuhört und weiß, wie es ist, wenn ich gehe, wenn ich die Nacht nicht überlebe. Weil der Schmerz mich besiegt.

Helgoland again

Seit ich die Weckzeit um eine Stunde nach hinten verschoben habe – ein Zugeständnis an die neue Mitbewohnerin, ihres Zeichens Frühaufsteher; Allerdings nur ein leichtes, da ich nur in seltenen Fällen geschafft habe, um jene frühere Uhrzeit aus dem Bett zu kommen – seit ich die Weckzeit also verschoben habe, gelingt mir das Aufstehen trotz trostlosen Nebels morgens recht gut.

Natürlich ist es eine Stunde früher im Wald noch etwas schöner. Doch auch heute habe ich erfrischend nasse Füße bekommen zwischen den knöchelhohen Gräsern abseits des Wegs. Es ist angenehm, die Stadt zu verlassen. Besser ist es nur noch am Wasser. Gestern Nacht träumte ich von einem Wasserwechsel vom Aquarium des Freundes, tagsüber kaufte ich Musik von Jonas Westergaard – «Helgoland». (Ich glaube, darauf kommt kein Marktanalyst.)

Es erinnert mich an etwas, draußen zwischen den Wellen. Und dort wäre ich lieber als hier, für eine Woche vielleicht, und hinge dem Lichtkegel des Leuchtturms hinterher. Den man bei guten Tagen auch vom Festland aus sieht.

Die Sache mit den Schuhlöffeln

Was auch geschiehtAn diesem Wochenende habe ich meine neuen Schuhe eingelaufen. Es ist ja immer so eine Sache mit neuen Schuhen: Man sollte sie nie lange an einem Stück tragen, dass sich das Leder des Schafts und der Brandsohle langsam an den Fuß gewöhnt. Am Samstag abend besuchten wir alte Freunde, am Sonntag waren wir im Theater zu Gast.

Vielleicht hätte ich besser zuhören sollen. Es hatte etwa sechzig Minuten zuvor geregnet und wir waren froh, trockenen Fußes die Haustür der Freunde erreicht zu haben. C. nahm uns strahlend in die Arme, ich strich die Falten aus meinem Jackett und die Schuhe vom Fuß – das Einlaufen musste sich auf den Hin- und Rückweg beschränken. Er strahlte uns an, das Wetter würde schon halten: «Grillen!» Im Anzug. Ohne Schuhe. Ein paar Stunden später kniete ich vor ihnen im Treppenhaus, versuchte mein Bestes, sie ungläubig: «Schuhlöffel?»

In der Hotellobby warten einige andere, als wir uns bei der Rezeptionistin erkundigen. Es ist die letzte Vorstellung, für die wir uns hier zusammenfinden. Die Teppiche in den Fluren sind für die nächsten zwei Stunden ideales Terrain, das gestern Verpasste nachzuholen. In den Zimmern und Fluren des Hotels geschehen Dinge, und vor einem Zimmer recht bald nach Beginn werden wir aufgefordert: «Schuhe bitte ausziehen». Wir sitzen auf dem Bett, bzw. die anderen. Es hat gedauert, bis ich die Schuhe abgelegt hatte und als letzter, unter dem fragenden Blick einer Darstellerin, die wenigen verbleibenden Zentimeter auf der Bettkante erreichte: Die besockten Füße an der Wand gegenüber, dass ich nicht weiter abrutschen kann.

Die Gruppe wartet, ich wage erst gar nicht zu fragen und kämpfe einen einsamen Kampf, sie schaut und erklärt: «Sonst hätten die Füße nicht auf die Decke gedurft!»

Die Gärten des Todes

Süddeutschland im SommerWir hetzen zur S-Bahn-Station und ich rufe im Laufen zu Dir, Tage die so beginnen, enden meist wenig besser. Das passiert regelmäßig montags, nach einem Wochenende in Deiner WG. Wir ziehen lachend Slalom zwischen den Anzugträgern einen Rollkoffer hinter uns her.

Wenn wir planen, wo wir in einem Jahr leben, wissen wir beide nicht weiter. Die Freude auf Neues tragen wir in unseren Gesichtern, Bekannte sagen, man erkenne dies klar. Sie rufen aus ihren Wohnungen an, in denen sie mit ihren Beziehungen wohnen. Wir wissen beide nicht weiter.

Und pendeln lachend zwischen den Städten zum anderen hin. Von einem zum anderen.

Manchmal morgens hetze ich zur U-Bahn-Station oder zum Bus, zwei- oder dreimal im Monat.

Ich mag die Lebendigkeit in diesem Moment.

Block Flöt

Überquert man den kleinen Fluss über die alte Brücke und folgt der kopfsteinernen Straße, betritt man das Viertel, das hinter den Häuserfronten an dieser dem Viertel den Namen gebenden Straße seine Schönheit verbirgt. Diese Fronten gehören zu Höfen, die sich nach hinten, zum Fluss hin öffnen, angeschlossen an ein Netz aus mäandernden Wegen, benutzt von den Menschen, die das Viertel gut kennen.

Dieses kleine Freaktown

Wir sitzen beizeiten in dem einzigen Café in dieser Straße, der Freund kennt alle Gäste mit Namen. Die gleichen Gesichter, egal wann wir kommen; der Alte, seine Frau und der Indianer sind jedesmal dort. Wenngleich wir diese Gewohnheit noch nicht lange pflegen, grüßen sie still durch ein Nicken als erkennen sie mich.

Und doch: Ich mag die engen Wege mehr als die Straßen, ich liebe die Nähe zum Fluss, in der Sonne sitzen und warten. Seit Du nicht mehr hier lebst, bin ich deutlich seltener dort unten. Doch ich erinnere uns Hand in Hand über die Höfe fliegen.

Ich lächele: “We try.”

Marouf guckt uns mit einem traurigen Lächeln an: “I don’t know why they don’t like me. Maybe because I look different. I think maybe I am sick. I go to the doctor to test, five month ago” Er erzählt uns mit roten Augen, dass er seine Ergebnisse seit fünf Monaten hat- aber keiner sie für ihn übersetzen möchte. “I go to people, I ask, can you read this? But they always say: no, no! Go away!” Wir sind still. Wir sind diese Menschen.

(dragstripGirl: this is heavy. – Marouf via *indigoidian.de*)

Darum schreibe und lese ich viel lieber Blogs als zu Twittern oder auf Facebook zu sein. Auch wenn’s mich mitnimmt dann und wann. Und ich fühl‘ mich erwischt.