Intellectualitas: die größten Arschlöcher sind die sogenannten Intellektuellen

Oft habe ich bereits davon geschrieben: Ich empfinde die Atmosphäre in den geisteswissenschaftlichen Instituten der Universität Marburg (kurz: PhilFak) angenehmer als in den mathematischen Fachbereichen wie der Informatik.
Doch ist mir schleierhaft, wie man länger als zwei Stunden pro Tag in den Gebäuden der Marburger Wilhelm-Röpke-Straße zubringen kann ohne vollends durchzudrehen. Die Menschen sehen oft erschreckend gleich aus, auch sie lassen sich häufig anhand ihrer Kleidung und Frisur dem Institut zuordenen, ein Vorurteil, das dem gemeinen als BWLer zu erkennenden Wirtschaftsstudenten schon lange anhängt.

Viel fataler kommen mir allerdings Vorlesungen des Fachbereichs (in meinem Fall: Medienwissenschaften) vor. In den Seminaren nie so wahrgenommen ist das Gesabber (hier:) des Dozenten. Neben einer Menge interessanter geschichtlicher Fakten werden Deutungsversuche bar jeglicher Vernunft unternommen:

Blatt
Fotografiert von Doreen Fräßdorf

Am Montag ging es um die Entwicklung der Telegraphie, der erste T.-Automat bestand unter anderem aus einer leeren Staffelei und wurde von Morse gebaut, der zu dieser Zeit als Maler seinen Lebensunterhalt verdiente. Soweit die Fakten. Dann:

Man kann die Verwendung eines leeren Bilderrahmens bei der Konstruktion der Maschine auch als Zeichen der gescheiterten Maler-Laufbahn Morses interpretieren.

Meines Erachtens naheliegender: Was liegt in den Räumen eines Erfinders wohl herum, der seinen Lebensunterhalt mit Malerei verdient, was er für die Konstruktion einer Erfindung verwenden könnte?

Ich jedenfalls bin froh, in den Naturwissenschaften mit etwas Greifbarem (in Form von Formeln oder Algorithmen) zu arbeiten und nicht versuchen zu müssen, zwei Stunden über den Fall eines Blattes zu schwadronieren (wie mir von Christian aus einer Philosophievorlesung berichtet wurde).

Die Überschrift ist ein Zitat Thomas Bernhards von der Webseite Ausloeschung.de.

Habemus Papam

Der neue Papst kommt aus Deutschland. Ein recht kurzes Konklave, das erste zu meinen Lebzeiten (und vermutlich das erste von dem Großteil der involvierten Kardinälen praktizierte), der erste deutsche Papst seit 480 Jahren, der sich fortan Benedikt XVI. nennt.
Da Ratzinger bereits 78 Jahre alt ist und damit an der oberen, von Johannes Paul II eingeführten, Altergrenze kratzt, drängt einem die Bezeichnung „Übergangspapst“ ins Gehirn. Trotz sehr konservativer Kirchenpolitik sind die Besucher des Petersplatzes aus dem Häuschen. Jedenfalls überstimmen diese die unzufriedenen Pilger.
Fußballplatzstimmung also. Und Sondersendungen.
Und auch Wasser auf die Mühlen der Falschen.

Gütersloh und ein Küchenmesser

Wenn du das gesehen hättest was ich heute gesehen habe. Da ist nichts mehr.
Der Eintrag sollte einen anderen Titel tragen, bis er selbst das Stichwort lieferte.

Dass er mit sich kämpft, sah man seit der ersten Minute und wir kamen früh. Das Stehen fiel schwer, das Gehen noch mehr, sein stellenweise kahlrasierter Schädel zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich, wenn er seinen Körper durch die Menge schob, die Theke fest im Visier. Elf Programmpunkte trennten uns von seinem Auftritt, elf mal fünfzehn Minuten, fast drei Stunden also, die ich zum Ausmalen aller Schreckensvisionen nutzte und beschloss, ihm heute nicht in die Arme zu Laufen und mich seinen Fragen zu stellen.
Er kämpfte, langsam und stockend rang er seinem Körper die Worte ab, suchend huschten seine Augen über die schon teilweise geleerten Stuhlreihen aber fanden keinen Halt. Erst gegen Ende gab man Applaus und er schaute weniger ängstlich in den Raum, in die Gesichter der Richter, die wohlwollend applaudierten und nicht übersehen konnten, was dort oben vor sich ging. Das Applaudieren habe ich nicht fertigbekommen, wir brachen den Abend sofort danach ab, huschten ungesehen hinter ihm aus dem Raum.
Um die Wahrheit nicht sagen zu müssen.

Lange vorher, während ein Klavierspieler melancholische Töne trifft, verabschiede ich mich im Stillen.

Ich warte auf den natürlichen Tod.

Zensur

KorsakovDu siehst alt aus.
Der AlteMit vierzehn Jahren war ich Deutscher Karate-Meister!
Der FreundDu hast noch einen Deckel bei uns.
Der AlteIch vergaß ihn. Ich war schon mindestens zwei Jahre nicht mehr dort. Gerade ist Geld da!
Ich habe Hausverbot in der kleinen Kneipe. Morgen Abend ist Versammlung deswegen. Ich mache ihnen den Umsatz, die können sich das nicht erlauben! Wie sollen die überleben, die müssen mich wieder hereinlassen!
Wenn ich wütend werde, dann bin ich unberechenbar. Ich war Karate-Meister, ich habe nie eine Waffe benutzt. Wenn ich weggehe, will ich meine Ruhe vor solchem Pack. Wenn ich ihn sehe, wie er kleinen Mädchen Drogen verkauft, dann raste ich aus! Ich habe ihm ins Gesicht gespuckt, doch hinter dem Tresen war eine, die mich noch nicht kannte. Sie ist noch nicht lange da und hat mich hinausgeworfen! Doch das können die sich nicht leisten!

Der FreundHast du keine Taschentücher? Hier, nimm.
Es sind nur fünf Euro etwa.

Der AlteNimm sie. Hier. Gerade ist Geld da.
Einen Wein! Ein halbes Glas! Ein ganzes ist mir jetzt zuviel. Wo ist Andreas? Er bekommt ein Bier von mir! Warum ist Andreas noch nicht da. Andreas heißt nicht Andreas, wir nennen ihn immer so. Dann nehme ich eben ein ganzes.
Wollt ihr ein Gedicht hören? Ich habe es eben geschrieben.

KorsakovDas letzte.
Der AlteIch habe es heute morgen geschrieben.
Bald ist die Veranstaltung, auf der ich mein neues Buch vorstellen werde! Ich bin gerade wieder sehr in der Wissenschaft, lese eins ums andere Korrektur, gerade läuft alles sehr gut, ich schreibe wie lange nicht mehr. Ich bin wie lange nicht mehr in der Wissenschaft, jede fragt mich, ob ich ihre Diplomarbeit korrigieren kann. Informatik, Soziologie, Germanistik. Ich arbeite wie ein Weltmeister.
Ich gebe dir meine Werke, so ein Stapel Papier. Den kannst du ja in den Computer machen, und dann im Internet veröffentlichen. Dann habe auch ich eine Webseite! Es muss übersichtlich sein. Eins pro Seite!

Der FreundWenn ich mich recht entsinne. Es waren höchsten 5 Euro.
Der AlteIch komme vorbei. Nimm das Geld schonmal. Ich habe es einfach vergessen! Ich habe hier eine Rechnung und am Monatsende komme ich vorbei und zahle sie. Ich zahle immer!
KorsakovEr hat all die Jahre bezahlt.

Gedanken nach dem Lesen eines Gästebuchs.

Since I left my hometown

Der neue Außenspiegel für fast 130 Euro verrichtet seinen Dienst klaglos, auf dem Heimweg vom Autostellplatz lässt ein alter Mann seinen Darmwinden freien Lauf und als ich später Doreen davon erzähle, kommen wir auf David Hasselhoff zu sprechen.

Wir singen den halben Nachmittag „Looking for Freedom“ beim Kochen, beim Lesen, beim Arbeiten und stellen fest, dass ich in der sechsten oder siebten Klasse gewesen sein muss, als ich dieses Lied unbedingt auf CD haben wollte und die Nachfolge-LP zu Weihnachten bekam, die dann im Schrank verstaubte, weil kein hörbares Lied darauf gewesen ist, wie ich mich erinnere. Keines jedenfalls, zu dem man sich als fast 12jähriger hätte bekennen können, ohne von seinen Freunden ausgelacht zu werden.
Das muss vor der Zeit gewesen sein, in der ich zu Guns’n’Roses kam, es war aber defitiniv die Zeit, in der ich irgendwann eine Queen Best-Of in mein CD-Regal stellte, eine Prinzen-CD und mich dafür irgendwie doch nicht schämte. GnR hatten allerdings Hochkultur und auf der Jugendfreizeit zu Beginn der achten Klasse hörte irgendwie jedes Mädchen Guns’n’Roses, das man toll fand. Beziehungsweise jedes, bei dem man sich eine reelle Chance ausrechnete. Der Schuss ging nach hinten los und weil Alkohol verboten war, fand man sich abends in der Jugend-Disko eben nüchtern im Dreck der Tanzfläche zu Radio-Gaga trommelnd wieder.
Die Nachmittage verbrachten wir am Strand, wo wir uns tote Quallen ins Gesicht schleuderten oder mit teilweise aus Sicht 14jähriger peinlichen Spielen und verschiedenen Sportarten. Erste Zweifel an meiner Profikarriere keimten bei der 2:80 Niederlage im Basketball, weil und nur weil der Schiedsrichter uns den Punkt warf. Anschlusstreffer wäre zu optimistisch ausgedrückt.
Ich glaube nicht, dass wir die heimlichen Stars auf dem Zeltplatz waren. Aber ich glaube, dass nur wenige ihre Guns’n’Roses-CDs noch einmal aus dem Regal nehmen und anhören. Dafür besitze ich noch immer nicht einmal die Single von Michael Knights Hasselhoffs Superhit.

It’s cool man

Die Gesellschaft erhebt alles zur Mode, was ihr unter die Finger kommt.
Die Punkerin, die sich betont lässig an der tegut-Schlange anstellt und die ich draußen treffe, als sie ihr Handy der letzten Generation unauffällig in der abgewetzten Tasche ihrer Lederjacke verschwinden lässt. Ob das Mittagessen schon auf dem Tisch steht? Ich finde die Verbreitung der Handys absolut gut, doch muss ich beizeiten mein Weltbild gehörig renovieren.

Zwei Haltestellen weiter steigen drei Mädchen in den Bus, die dem Funpark entsprungen zu sein scheinen und einen Jungen überschwänglich begrüßen. Eine erzählt, dass ihr Vater eine zweiwöchige Reise in die Türkei gewonnen und sie ihm unmissverständlich klargemacht habe, dass sie und nicht er die Reise antreten werde, „ey, vergiss es!“. Ob der Junge und ihre Freundinnen beeindruckt waren, konnte ich leider nicht erkennen, aber ihre Coolness untermauerten sie beim Aussteigen ein letztes mal durch bewundernswerte Äußerungen, während eine blitzende H&M-Gürtelschnalle an mir vorbeiwackelte.
Mir ist die Gesellschaft normaler Menschen lieber. Beispielswiese die jener Mädchen aus dem Zug gestern, die im benachbarten Doppelsitz Platz genommen hatten und auf dem Weg zu einer Verabredung waren. Das Menschliche an beiden: Sie waren aufgeregt.

Die Leute wollen lachen II

Gestern fand der erste Poetry Slam im KFZ statt. Neben Lokalmatadoren waren auch Robert Gaude, Dalibor und der Spoken Word Berlin Abgesandte Frank Klötgen dabei. Bis auf einen dümmlichen Zwischenruf aus dem Publikum war der Abend gelungen, Robert der Sieger und Dalibor – auf den sich der Zwischenruf „Mehr Poetry!“ bezog – Zweiter. Sofort hatte ich seine Worte aus Frankfurt im Kopf. Ich freue mich auf den nächsten Slam, im März, in der Cavete.

Gestern war der Monteur da, der mir vor Weihnachten die neue Heizung installieren wollte. Er sah sich die Szenerie noch einmal an, fragte ob ich heute zu Hause sei und dass wir das mit der Heizung dann endlich mal machen würden. Ich entgegnete, ich könne es einrichten und würde mich freuen, wies auch auf die keineswegs nennenswerte Heizleistung des installierten Provisoriums hin.
Der Wecker um 8 mahnte zum Aufstehen, Auf- und Umräumen, Platz schaffen und Kaffee aufsetzen. Dass um 15 Uhr weder Heizung noch Monteur in Sicht sind, verwundert wenig. Trotz allem ein gelungener Morgen, ich fühle mich wohl.
Anscheinend nicht nur: Neben mir tanzt eine Fruchtfliege und amüsiert sich köstlich, dass ich ihr Nest seit Tagen nicht finde.

Marburg, wie es lacht und spinnt

Ich wollte euch eigentlich damit verschonen. Aber ich bin von Keynote sehr begeistert. Mit dieser Software gestalten wir die Präsentation für Mittwoch – bisher jeder für sich, morgen fusionieren wir unsere Entwürfe bei Christoph.
Ich verfalle bei solch neuen und faszinierenden Möglichkeiten sehr leicht den Spielereien und kann mich stundenlang mit einem einzigen Diagramm auseinandersetzen. Später ist diese Präsentation sicher zum Download verfügbar.

Der Karneval hat Einzug gehalten. Der Begriff „Rosenmontag“ geisterte schon durch einige Medien, in den Geschäften hingen auch Zettel mit abgeänderten Öffnungszeiten. Dass Tag X heute stattfindet, hat mich aber kalt erwischt. Auf dem Weg zur Bank stellte ich fest, dass vor dem Oberstadt-Aufzug die „Rosenmontagsparty in der Reitgasse – Eintritt: 2 Euro“ stattfindet. Der andere Weg führte mich über einen polizeigespickten Marktplatz, eine Steigerung hielt ich für kaum möglich und fragte mich, seit wann Mittelhessen eine Hochburg des Karnevals ist. Vor dem Tegut wurde ich eines besseren belehrt und musste mich durch Absperrungen und über eine abgeriegelte Universitätsstraße kämpfen, innen warteten Massen verkleideter Teenager und Security-Beamte (!) an jeder Kasse auf mich. Alaaf!
Der Plan, verschiedene Erledigungen auf dem Rückweg zu tätigen, ging baden. Ich hätte mir die Schilder rechtzeitig durchlesen sollen.
Kein Brot, kein Wasser. Wenigstens Kaffee.

Quetzaltenango

Was ist denn los?
Man sollte von Universitätsstudenten doch eine korrekte Orthographie erwarten können, meine ich zumindest. Tatsächlich waren heute auf den Folien zweier Vorträge (immerhin 50%) zahlreiche gravierende Rechtschreibfehler. Ich bin der letzte, der sich über vergessene Buchstaben und deren Dreher in eMails oder Blog-Einträgen aufregt. Allerdings ist eine Präsentation im Lehrbetrieb doch etwas anderes und man könnte sie schließlich bei eigener Unsicherheit vom Freund oder der Freundin gegenlesen lassen.
Trotz allem gab es heute recht interessante Vorträge von „Journaling File Systems“ bis hin zu „Autonomic Computing“. Die Messlatte hängt, morgen in einer Woche präsentieren wir „Energy Awareness“. Bis dahin stelle ich die Folien und hoffentlich die komplette Ausarbeitung auf meine Webseite.

In einer Stunde geht ein Dia-Vortrag in der VHS los, in der unser Spanisch-Lehrer seine Heimat Guatemala vorstellt. Die zugeführten Mengen Koffein sollten mich über den Abend retten.

Fanfaren der Jericho-Engel

Oberbürgermeisterwahl
SPD/Grüne   52,5 %
CDU   29,6 %
MR Bürgerliste   9,4 %
PDS/MR Linke   5,1 %
FDP   3,4 %

Als ich kurz vor 18 Uhr, dem Ende der Oberbürgermeisterwahl Marburgs, in den Wahlraum stolperte, stand dort ein Fernsehteam parat, vor dem der Wahlleiter meines Bezirks bereits die mangelnde Wahlbeteiligung bejammerte. Nicht wirklich ein Wunder, wenn ausnahmslos alle Kandidaten keine klaren Ziele formulieren: Einzelne Wahlprogramme fand ich heute morgen erst nach halbstündiger Suche. Die Beteiligung lag übrigens bei knapp unter 50%, die Zahlen in der Tabelle sind Hochrechnungen der Oberhässlichen Oberhessischen Presse.

Was mir heute zum dritten Mal aufgefallen ist und daher als Trend postuliert werden kann: Die Gesellschaft wird inkontinent. Zuerst ein älterer Herr, der vor mir in Richtung Supermarkt läuft. Unvermittelt (und ungleich schockierender: ungeniert) furzte er lange, ohne seinen Gang zu unterbrechen oder eine Geste zu machen, die das eben Passierte als peinlichen und sonst nicht auftretenden Moment kennzeichnen würde. Einige Tage später verhielt sich ein Mann im Plattenladen ähnlich. Dass er gerade mit dem Hören einer CD beschäftigt war, ist natürlich keine Entschuldigung. Heute abend schließlich wiederholte sich das Schauspiel – Hörspiel – an der Bushaltestelle. Ich frage mich ernsthaft: Verliert die Menschheit alle Hemmungen? WAS ist hier los?
Und ich muss an Volkers Geschichte denken, vorgelesen auf dem Marburg Abend, die jene Po-Saune in den Mittelpunkt hebt. Damals habe ich mich das gleiche gefragt, das Bild hat schwer gelitten.