Die Ziege der Ziege

Schweigen wird Volkssport, schreiben sollte es sein! Das Land der Dichter und Denker verkriecht sich im Jungle-Camp, Bücher werden heute gehört und Sarah Kuttner darf auf der montaglichen Jetzt.de-Seite der Süddeutschen Zeitung gewollt cool auf Fragen reagieren. Wer Kuttner kennt, ahnt von der Kulturkatastrophe, auf die wir zurollen. Während sich der MTV-Türstopper „übrigens dieses Jahr die Weihnachtsgeschichte, gelesen von Til Schweiger, Martin Semmelrogge und den zehn dümmsten Fußballspielern Deutschlands“ wünscht und freundlicherweise mit dem interjektional gebrauchten Partikel dieses „will zwar niemand wissen, aber“ mitschwingen lässt, unterschreibt das große Vorbild bei Arte.
Briefe schreiben an die schweizer Freundin, während der Rest sich den Kopf zermartert. Sechs, setzen. Mal wieder.

Und manchmal kommst du an eine Kreuzung
und dann musst du dich entscheiden zwischen zwei Wegen,
zwischen dem, auf dem du weitergehen willst
und dem gemeinsamen.

(Tilman Rossmy – Auf die Berge, durch die Wüste)

Totentanz

Seit Tagen steht diese Kerze im Fenster und brennt für dich. Nicht ganz ununterbrochen, muss ich gestehen, wohl aber so, dass ich mir guten Gewissens die Kissen und Nächte um die Ohren schlage.
Wie kann man nur so unterschiedlich sein? denke ich bei vielen Menschen zur Zeit. Und du weißt, was ich meine, wenn ich mit blobkanal „irgendwie sind wir uns fremd geworden“ singe. Ich meine alle. Das ist ein komisches Gefühl.
Und so sitze ich nachts um drei am Computer und schaue mir Goethe’s Totentanz an.

Vegetarismus beginnt, wo gebrochene Augen aufhören.
Lieber ungeboren als ungefressen? fragte mal einer.

an artist with a brilliant disguise

Musiker der Woche ist St. Thomas, dessen Let’s Grow Together rauf und runter läuft. Das Robocop Kraus Konzert heute abend entfällt wegen Krankheit, Tomte veröffentlichen Anfang nächsten Jahres ein neues Album auf dem hauseigenen Label (das in Grand Hotel van Cleef’scher Tradition großartig werden muss) und die Altnazis schauen aus ihrer Mondstadt herab auf die Erde. Ganz nebenbei erledigt sich eine bekannte Verschwörungstheorie: Wären die Amerikaner 1969 tatsächlich auf dem Mond gelandet, hätten sie die Nazistadt sehen müssen.

I was born with a twist in my voice,
I could sing „lolalolaley“

Sonne macht albern!

Gerade ist der Schornsteinfeger im Flur, ich höre ihn immer verzweifelter die viel zu schnell erlöschende Treppenhausbeleuchtung einschalten und von Tür zu Tür gehen, klopfend (weil die innerhäuslichen Klingeln allesamt kaputt sind) und vergeblich auf eine Reaktion wartend.
Er hat es auch bei mir versucht, doch ist mein Gasofen, mit dem er noch letztes Jahr etwas hätte anfangen können, mittlerweile zurückgebaut. Ich bin wach, aber die falsche Adresse.

Das Witzlose ist, wenn man über Urzeiten schreibt, für den Rest des Eintrages weitere Stunden zu brauchen, denn in der Regel stehen meine Nachbarn durchaus vor halb 10 Uhr morgens auf.

Etikette

Bevor man im Internet an gewissen Kommunikationsstrukturen teilnimmt, sollte man sich die diesbezügliche Netiquette durchlesen, die Verhaltensregeln aufstellt und – weil das anscheinend nicht immer vorausgesetzt werden kann – grundlegende Höflichkeit definiert.
Die Netiquette für sozialen Umgang im wirklichen Leben nennt sich Etikette und sollte dem Individuum in früher Erziehung angelernt und mit zunehmendem Alter verfeinert werden. Dass es oftmals nicht weit her ist mit gutem Benehmen, zeigen am Bus vorbeigähnende Radfahrer oder Schulkinder, die sich mit Händen und Füßen gegen sitzplatzbeanspruchende Senioren wehren. Hände gehören beim Essen nicht unter sondern auf den Tisch (Ellbogen dagegen nicht), man beginnt gleichzeitig mit dem Einnehmen der Speisen und nicht asynchron und beachtet sein Umfeld, wirft niemandem die Tür vor der Nase zu.

Der Verzicht auf Manieren hat nichts mit einer neuen ’68er Generation zu tun und dem Erhalt deren Erbes, fällt dramatischerweise aber immer weniger auf. Wenn ich oben genannte Radfahrer kritisiere, gelte ich als kleinlich. Wenn Benehmen dort nicht anfängt, wo dann? Das Argument, man befände sich in einem privaten Raum wird ad absurdum geführt, wenn wir uns den popelnden Fahrer im Nachbarauto vorstellen.
In der Aufgabe privater Räume, d.h. von Situationen, an denen die Öffentlichkeit nicht partizipieren kann, bedingt sich die Ausweitung der Etikette auf eben diese.
Während die Vorzüge der Multimedialität und Multikonnektivität, die diese Abschaffung mitunter bedingen (Webcams, …), gefeiert und genutzt werden, ist man im Gegenzug nicht bereit, diesen durch Investition eigener Mühen Rechnung zu tragen.

Kommunikation beruht auf Richtlinien, Höflichkeitsformen und bewährter Normen, die es meines Erachtens wert sind, en gros adaptiert zu werden. Ich werde gern mit „Guten Morgen“ begrüßt und schließe Briefe und eMails „mit herzlichen Grüßen“. Mit „Ey Alder“ kann ich mich dagegen weniger anfreunden, auch charakterisieren orthographische Fehler in den meisten Fällen keinen Zeitmangel sondern Missschätzung des Kommunikationspartners.

Ein Duden und der Knigge gehören in jeden Kopf.

Let there be rock!

Die Zeiten, in denen list of sucesses mit loss abgekürzt wird, die Bügelwäscheberge den HiFi-Turm überragen.
Die Zeiten, in denen man sich Füller statt Autos kaufen muss, um überhaupt etwas zu merken und Dinge schreibt statt zu sagen, um überhaupt wahrgenommen zu werden.
Die Zeiten, in denen Aldi Eiswein verkauft, ich abends ein Glas roten trinke, um überhaupt einschlafen und morgen sauerstoffangereichertes Duschgel verwende, um aufwachen zu können.

Und ich wollte dir nicht glauben,
als du sagtest „tut mir leid,
diese Zeiten waren golden, doch
jetzt sind sie vorbei.“
Diese Adresse ist die letzte
für eine lange Zeit.

Tocotronic – Die letzte Adresse

Hoffentlich tut’s weh!

Der Staat Texas wird ja häufig mit zu kritisierenden Tatschen in Verbindung gebracht: Die unerbittlich vollstreckte Todesstrafe und Heimat des amtierenden (und oftmals zu kritisierenden) Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Nach einem Geheimdokument wird der gewünschte Umgang mit kritischer Presse offen gelegt, die Bush „in Katar und anderswo bombardieren wollte“. Namentlich wird hier der Sender al-Dschasira genannt.

Pluspunkt für Texas ist die Klage gegen Sony BMG wegen des seit Anfang November viel beachteten Kopierschutzes. Ich freue mich, wenn Sony BMG wieder Umsatzeinbußen wegen der mutmaßlich beschuldigten Tauschbörsen hat. Im Ernst: Wer will die Musik in den Charts wirklich hören, außer den musikdesinteressierten Konsumenten von Privatradiostationen, die sich keine Audio-CDs kaufen (oder Sampler à la Bravo Hits vorziehen)? Die Konzerne geben sich wirklich Mühe, die letzten potentiellen Käufer zu vergraulen. Merkt keiner, dass genau die gegenteilige Richtung du erfolgreichere wäre? Bei den Gehältern sollte man Borniertheit nicht noch in den Arbeitsvertrag schreiben!

Stuckrad-Barre hat ein neues Buch geschrieben. Soloalbum habe ich gern gelesen, obwohl es nur ein müder Abklatsch von Hornbys High Fidelity ist. Die anschließend veröffentlichten Bücher waren durchweg schlecht, konnten der Überbewertung der personifizierten Arroganz allerdings keinen Abbruch tun. Gelesen habe ich sie trotzdem. Welches Startkapital ein ehemaliger Gagschreiber von Harald Schmidt hat, verwundert zutiefst. Das nächste erwähnenswerte Werk war seine Textsammlung Deutsches Theater.
Die Amazon-Rezensionen zu seiner neuen Veröffentlichung sind wieder eindeutig, auch wenn diesen mit Vorsicht zu begegnen ist:

Das Buch Kleider machen Leute ist ein Buch, das man mindestens dreimal lesen muss, um alles 100% zu verstehen. Alles ist ziemlich lang umschrieben und kein bisschen lustig oder spannend, sondern einfach nur trocken. Für Leute, die gerne gute und ausdrucksstarke Literatur lesen wollen, ist dieses Buch sicherlich sehr interessant, Leute, die Humor, Action und Spannung erwarten, sollten lieber die Finger davon lassen

(Rezension zu Gottfried Kellers Kleider machen Leute)

The Masse

Er hat ein neues Jackett, stiefelt stierend durch die Gassen, du neben ihm her, kannst ihn betrachten, ihn stört es nicht, er merkt es nicht. Das schmutzige, abgegriffene Schwarz fliegt nicht, es schleicht, die Haare wie üblich zerzaust. Die Flecken im Licht, halte Abstand und biege hinter ihm ein um nicht überholen zu müssen.
Sterben die Schritte vorm eigenen Selbst?

Auf meinem neuen Axe-Duschgel klebt ein Gutscheincode, der eine 10-Euro-Ermäßigung bei Frontline einräumt. Leider hat Unilever/Axe es versäumt, den korrekten URL auf das Etikett zu drucken bzw. sind am Phänomen der „case sensitivity“ gescheitert (die korrekte Adresse enthält nur Kleinbuchstaben). Dort findet sich unter anderem ein Gewinnspiel, an dem ich mit meiner GMX-Adresse teilnehmen wollte. Nach Ausfüllen aller Felder aber der Deaktivierung des Hakens bei „Newsletter“ schlägt mir folgende Meldung entgegen:

Bitte fülle alle Pflichtfelder aus.

Dass sie zusätzlich einen 5-Euro-Rabatt anbietet, damit man sich für den Newsletter anmeldet, macht diese Firma zusätzlich unsympathisch. Sie ist sowieso zu teuer.

Wenn ich dich sehe

Ein Freund rief an: „Hör’ mal, wenn es dich int’ressiert,
Ich lese grad, Don Rosa ’s in der Stadt und signiert“

Don Rosa

Nur wenige Lieder hängen mir über lange Zeit im Gedächtnis. Sven von Reinhard Mey ist eines jener Stücke, die sich immer wieder aus dem Unterbewusstsein in höhere Sphären graben, ob ich im Bus sitze, in einer Vorlesung oder die Zeitung lese.

Apropos Don Rosa: Ihm steht der Dreitagebart (der gepflegt und vielleicht doch älter ist) im Gegensatz zu dem neuen SPD-Parteivorsitzenden hervorragend. Ich kann mich noch immer nicht an den Anblick eines unrasierten Gesichtes gewöhnen, das einem Anzugskragen entwächst. Trends werden gemacht, und dies ist ein auffälliger. Die Resonanz in der Bevölkerung kann unmöglich lange dauern: Augen auf nach kleinbürgerlichen Platzecks auf dem Weg zur Arbeit!

Ich bin kein Fan von Donald Duck. Aber vom Aussehen Platzecks werde ich es nie.

„Please, Mister Don Rosa“, bat er heiser,
„Can you write: Für Hans-Dieter Kaiser?“

Thomas Bernhard hätte geschossen

Nicht einmal Fahrradfahrer halten die Hand vor den Mund, wenn sie gähnen. Eine Pandemie, gegen die Vogelgrippe wie eine Kinderkrankheit wirkt. An Bushaltestellen, Supermärkten und Einkaufsstraßen kommt einem täglich mindestens eine Person entgegen, die den Blick in den Rachenraum ermöglicht. Heute war es gar ein Angestellter der Personenbeförderungsbetriebe, der mich stumm anschrie.

Vor mehr als einem Jahr stellte ich das Bedürfnis nach einem omnipräsenten Notizbüchlein fest. Heute besitze ich zwar einen A6-formatigen Block, der Notizen für Zeitungsartikel aufnehmen sollte, mir aber zum täglichen Mitführen noch immer zu groß ist. Vorlieb nehme ich zur Zeit mit der Memo-Funktion des Mobiltelefons, die mich immer wieder kurze Fragmente aufnehmen lässt, welche ich zu Hause nicht selten erfolglos zu entschlüsseln versuche. Für praktikabel halte ich diese Technik auch nur an vergleichsweise menschenleeren Orten. Wer Sätze wie „nicht einmal die Fahrradfahrer halten die Hand vor den Mund, wenn sie gähnen“ auf der Heimfahrt im Bus ins Handy spricht, erntet ebenso fragende Blicke wie der erwähnte Fahrer des Velozipeds.

An einem der Tage, deren Soundtracks aus Mixtapeliedern bestehen, stellte ich fest, dass ich Kassetten besitze, die mit „Happy End“ beginnen.