Ich möchte Dinge gestalten, von denen andre und ich denken: Wow!

Als mich der Professor, bei dem ich vier Jahre lang promovierte, im Mai 2007 eingestellt hat, begrüßte er mich – sinngemäß – mit folgenden Worten: Ihm sei egal, ob er mich von nun an täglich sieht. Die Hauptsache ist, die Arbeit werde gemacht und ich sei anwesend bei wichtigen Treffen. Das war Vertrauen und Freiheit; das war angenehmst möglich und das tat gut.

Die schwere Sonate

Die Zweifler gab es schon immer. Es gibt sie damals wie heute, die sagen “arbeiten kann man nur im Büro” und die schief schauen, wenn man mittags entscheidet, im Café geht es an diesem Tag besser (oder gar nicht erst kommt). Einer sagte mir gestern: “Arbeit tut weh”, ein anderer: “Einen Tod stirbt man immer.”

Fragt man mich heute nach einem idealen Arbeitsumfeld, würde ich sagen: Bei einem Cappuccino in einem Café mit dem Laptop der eigenen Wahl. Das klingt nach Freiberufler oder Promotion an der Uni. Tatsächlich: Der Bruch könnte größer nicht sein zwischen den Bedingungen der damaligen Stelle und jenen zur Zeit (wie man so sagt: bei einer der großen Vier): Ich habe bei einem Kunden unterschrieben, dass ich mich an Diskussionen in Internetforen nicht beteiligen und andere Benutzer mit Beiträgen “nicht belästigen” werde. Im Gegenzug gab es den Zugang zum Netz, in dem man nichts darf.

Fortschrittsfeindlicher kann man ein Unternehmen nicht führen.

…marburg, … da kommen die besten her ;-)

Ich habe heute ein Café entdeckt, in dem ich in den nächsten Jahren wahrscheinlich häufiger sitzen, vielleicht sogar arbeiten werde. Ich habe ein Café entdeckt, voll angenehmer Menschen, alter Möbel und gutem Kaffee.

Café Jasmin

Es ist nicht alles so schlimm, wie es klingt zwischen den Zeilen. Ich habe Einen getroffen, fünf Meter groß, der mir Hoffnung verspricht. Ich habe ihm auf die Taille geklopft und zugenickt, als ich mich umdrehte und ging. Wir sehen uns sowieso wieder, wenn wir uns mögen – wenn wir denken, wie ein Mensch denkt, den man mag.

Von einer Gruppe Mädchen klingen schwizerdütsche Satzfetzen herüber und tanzen mit den französischen Liedern aus den alten Lautsprechern an der Wand. Es ist ein wenig wie Urlaub, es ist ein bisschen wie Sommer.

Ich wünschte ich könnte öfters arbeiten hier. Einer von vielen Gedanken und einer, der mich umtreibt. Und wie immer in diesen Phasen: Ein wenig optimistisch, ein Tick zu extrem. Sie erzählt mir abends im Bett, wie es sein sollte, hätte man eine Wahl.

Life’s journey is not to arrive at the grave
safely in a well preserved body. But rather
to skid in sideways, totally worn out, with a
beer in one hand, shouting “Woohoo, what a ride!”

– Mavis Layrer

Was ich glaube zu wissen: Man hat immer die Wahl.

Günesim

Ich habe nach Namen, willkürlich gewählt, einiger meiner Arbeitskollegen bei Google gesucht. Ich habe nicht eine Homepage gefunden.

net life

Ich meine nicht, dass das etwas heißt. Landläufig gilt Facebook als Spielwiese jener, die wenig zu tun haben – Studenten allgemein und feierndes Volk. Man kann bestimmt, in dieser Lage, keine Onlinepräsenz pflegen.

Ich meine nicht, dass das schlimm ist. Doch es beschreibt sicher den Graben, der zwischen uns gähnt. Es gibt auch einen Hinweis darauf, wie wir ticken in ungleichem Takt. »Es muss solche und solche geben« pflegt meine Mutter zu sagen; einer nimmt mich väterlich an die Hand und erzählt, er kenne die Situation.

Was er dann sagt, zitiere ich nicht.

Das wird Dich Demut lehren, Fatzke.

Als ich kam, hatte ich bestimmte Vorstellungen. Ich hatte Ideale und Ziele. Nach ein paar Tagen bereits schreibe ich eMails an die Freunde zurück. Ich schreibe von dem was ich mache und fühle mich blöd, ich erzähle von Kollegen und schäme mich ein bisschen für jene, die goldene Uhren tragen und angeben mit den Autos, die sie als Platinum-Kunde bekommen. Menschen, die das fälschlicherweise für Stil halten; Menschen, die seit Jahren mit keinem Füller mehr schrieben.

Das ist wie mit dem Bier und dem Wein,
das eine ist grob, das andere fein.

Sammlung Brandhorst

»Geduld nur, Geduld« raunt mir der Kobold ins Ohr. Vielleicht war ich vorschnell, ganz sicher zu blauäugig. Ein menschenliebender Misanthrop in Feindgebiet. Es stimmt der Spruch mit den Fehlern, ich sage ihn mir zum Einschlafen auf. Ihr Blick sagt, sie hätte das immer geahnt.

Es ist, dass ich viel über mich lerne. Es ist kein Fehler, sage ich ihr. Das ist, wie man Erfahrungen sammelt. Und es ist nicht das Ende, erst der Anfang der Reise. Ich habe Freunde, die bewundere ich heute noch mehr als bisher. Und ich verstehe Dich, möchte ich sagen. Nun gib mir den Mut, diesen roten Hebel zu ziehen. Auf dem steht in weißen Lettern geschrieben:

Missbrauch strafbar!

– t: Just another female blogger

With no baggage did I travel, Insha’Allah

Besitz zu nehmen von einer neuen Wohnung ist ein Prozess, der länger dauert (als ich hoffte). Wir haben die Kisten und Möbel in den ersten Stock getragen, ungeordnet, und waren froh, sie durch die Tür zu bekommen.

Umzug 2011

Wir haben in den anderen Räumen zu ordnen begonnen. So bleibt Chaos in jenem, in dem wir einst wohnen. Wir leben aus Kisten, unzureichend beschriftet, um das Nötige sofort zu finden. Wir stapeln um, räumen aus (und anderes wieder ein), wir verschieben oder sitzen einfach auf Cocktailsesseln auf dem Balkon, beobachten Museumsbesucher auf der anderen Straßenseite beim Warten und trinken alkoholfreies Weißbier aus Flaschen.

Gestern abend – wir wollten noch einmal hinaus, die letzte milde Frühlingsluft genießen – haben wir uns mit den Gitarren im Flur festgespielt; sie auf einem Sessel, ich auf dem alten Korkboden an die Haustür gelehnt. In all den Wogen der Harmonie mussten wir schließlich erkennen, dass weder die eigenen Texte noch jene von Metallica wirklich gut sitzen.

I shall be in this place here, Insha’Allah
This time, next year, Insha’Allah
The process that I’m in is a recurring dream
I shall be in this place here, Insha’Allah

– Phantom Ghost – The Process (After Brion Gysin)

Ich – Knight Rider

Schaute ich aus dem rechten Fenster, ich sähe all jene zahlreichen Autos, an denen wir vorüberfliegen. Kein Tag ohne Reise, hierhin, dorthin. Eine kurze Zwischenlandung in der Sonne, am See.

Chefin Nr. 1

Über das Reisen lerne ich Theodor Storm stets genauer kennen, er wird mir schwerer mit der Zeit. Habe ich den Pole Poppenspäer doch immer geliebt – genauer: liebe noch immer –, Immensee als traurige Geschichte mag ich zwar gern, aber das Ende (das Ende!) kann ich nicht leiden! Ich ertrage doch Hip-Hop ausschließlich, wenn ich nicht auf die Texte höre! Ich schaue doch darum schon lang nicht mehr fern! Für Pole Poppenspäler habe ich Storm geliebt.

Wenn ich rechts aus dem Fenster schaue, seh‘ ich uns fliegen. Hier unten, wo Flachland langsam die Hügel gebiert, nach Norden, hinauf in die Landschaft, zu der ich – nimmt man’s genau – schon lang nicht mehr passe.

– t: Zitiert aus «Er hat die ganze Zeit gekichert»

Wer wandert braucht nur was er tragen kann

digital lifestyleMein Computer hat eine Akkulaufzeit von etwa zehn Stunden. Mein Mobilfunkvertrag stellt mir mehr Gesprächsminuten und Daten zur Verfügung, als ich in einem Monat verbrauchen kann. Ich habe seit Jahren keinen Festnetzanschluss mehr, bin überall online, habe vor langem alle Tonträger digitalisiert und in große Kisten verpackt. Ich kann bereits heute überall sein, überall arbeiten und habe überall fast alles dabei – allein ein paar Schallplatten stehen noch im Regal, umsäumt von Büchern.

Das wunderschöne Mädchen verschenkt ständig Dinge. Sie sagt, sie weiß, was Besitz bedeutet seit damals, seit jenem Moment. Ich interveniere, bekomme ich es rechtzeitig mit, argumentiere mit «der Bibliothek, in der ich als Alter sitzen möchte» und in unseren Garten schauen. Ich schaffe nicht, mich vom einzigen Buch zu trennen, das auch ich abgeben würde: Den unsäglichen Simmel will niemand geschenkt.

Ich habe mir einen eBook-Reader gekauft, hoffend, dass dieser – wie einst der iPod vor wenigen Jahren der Anfang vom Ende der Tonträger war – das Ende der Bücher einläuten wird. Doch noch werde ich sie kistenweise in den Wagen verladen, breche ich meine Zelte in dieser Stadt in vier Wochen ab.

Und doch: Reisegepäck ist mir ein Graus, ich bekomme schlechte Laune, wenn ich mit zwei Koffern reise. Physikalischer Besitz fesselt und bremst; ich kenne Wohnungen, in denen wird man erschlagen vom Ramsch, vom Tand und von Trödel «gekauft auf einem arabischen Markt.»

Wer wandert braucht nur
was er tragen kann

Diesen Satz einer alten Freundin im Ohr schaue ich mittlerweile entspannt auf die brennenden Zelte und auf ein brennendes Haus. Ich weiß, der Verlust des Eigentums, das dort gerade verbrennt, schmerzt nur einen lächerlich kurzen Moment.

Viele Sachen sind jetzt billiger

Billige Sachen

Die Szene, die vor meinem inneren Auge vorbeizieht, liegt bereits ein paar Jahre zurück. Es war an irgendeinem Rosenmontag wie heute, ich kam wahrscheinlich aus dem Büro und lief durch die leergefegten Straßen der Stadt, die der Karnevalsumzug hinterlassen hatte.

Mir kam es vor, als herrschte eine apokalyptische Atmosphäre; der Wind ließ die krausen Luftschlangen tanzen in den Rinnsteinen neben des Wegs. Die Fußgängerampel zeigte Rot, als ich die Hauptstraße querte. Obwohl gesund und nüchtern, fühlte ich mich fiebrig, müde wie nach einem zu langen Abend und matt wie nach einer Flasche zuviel getrunkenem Wein.

Ich erinnere dieses Fieber, wenn das Gespräch auf den Karneval kommt. Gleich damals muss ich heute hinab in die Stadt, über die Straße, die damals leergefegt lag. Mit ihm das Gefühl, dass Du kennst vor einer Party, Du weißt, dass Du zuviel trinkst und schon jetzt an den Kater des nächsten Tags denkst.

Vom irrationalen Versuch, die Menschen zu lieben

Ich bin zeitweilig nur begrenzt gut auf Menschen zu sprechen. Vielleicht liegt das an meiner Sozialisierung, die mit einem guten Wiener Freund und dem Autoren Thomas Bernhard zusammenhängt; dass es indes nicht schlecht ist, unvoreingenommen in fremde Länder zu reisen, hat sich unzählige Male gezeigt.

Küchenschrankkunst

Als wir am Sonntag in das Münchner Künstlerhaus kamen, hatte mich der Begriff Kammerkonzert begeistert und – wie sich wenig später herausstellte – geblendet. Ich mochte bisher stets die Instrumentierung bei Kammermusik und ihre Weise.

Tatsächlich hätte es mir Warnung sein können (ja: müssen!), dass ein Akkordeon spielte. Tatsächlich hat mich der Begriff »Faschingskonzert« nicht stutzig gemacht. Beides Folgen des Versuchs, meiner Skepsis (und Erfahrung!) gegenüber Mitmenschen keine Beachtung zu schenken – wie sagt man so schön: offen zu sein. Erst als vor uns ein mittelalter Mann Platz nahm in einer mit Löwen bemalten seidenen Weste, kroch die Vorahnung – mit ihr die Verzweiflung – eiskalt an meinen Beinen hinauf. Dann saßen wir da. Staunend. Und flüsterten uns in der Pause zu, man könne, ginge man jetzt, noch schnell etwas essen. Doch entschieden wir uns für die – noch irritierendere – zweite Halbzeit eines Potpourris, das wir nicht verstanden, das uns nicht berührte.

Der Pöbel tobte zuletzt. »Wir sind«, raunte ich ihr zu, »gefährlich nahe an Österreich.« Selten habe ich Bernhard verstanden wie in jenem Moment. Und doch weiß ich wohl: Mit Österreich hattte das gar nichts zu tun.

Traum vs. Realität (oder: -11°C)

Heute Abend werden die meisten Leute von springenden Hunden und quietschenden Kindern empfangen. Ihre Partner werden fragen, wie Ihr Tag war. Die Nacht werden Sie in Ihrem Bett verbringen und die Sterne werden aus ihrem Versteck emporsteigen. Und eines dieser Lichter wird die Spitze meines Flügels sein, wenn ich vorüberfliege.

Berlin Cube

Nächster Halt Neustadt. Ausstieg in Fahrrichtung rechts.

Traum: Ryan Bingham in Up in the Air
Realität: RE 4169 von Kassel nach Frankfurt/Main