Ausziehen geht immer

Heute reihte sich Termin an Termin, einer davon zwang mich in den Anzug, aus dem ich den ganzen Tag nicht herauskam. Das war zumindest im Freien ein halbes Problem.

«Dieses Wetter drückt auf die Ausdauer» sagt einer und schläft ein, kaum dass er sitzt. Ich beneide ihn um seine Unbekümmertheit und seine Fähigkeit, die Augen zu schließen, ganz egal wo. Das wunderschöne Mädchen schläft auch in Bussen und Zügen, sogar in Flugzeugen wenn es sich kaum lohnt. Sie ist treibende Kraft hinter der Entscheidung, die Tage während der Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn im Großraumabteil zu verbringen. Und kann mein Problem damit nicht verstehen: Ich liege allein schon oft stundenlang wach.

Hinten an der Wand liegen die Hemden von letztens, dazwischen die Anzüge der vergangenen Wochen. Das Pflaster auf meinem Arm erinnert mich an die Impfung am Morgen, die ich bereits vergessen hatte.

Das geht seit einiger Zeit diesen Gang. Mein Leben ist ungesaugt und sieht furchtbar aus. Der Preis, den ich zahle, denn irgendwie macht’s auch Spaß. An Tagen wie diesen trage ich die rahmengenähten Schuhe.

My Reverie

Ich komme nicht dazu, hier zu schreiben. Falls ich es überhaupt nach Hause schaffe, ist der Kopf meist woanders, die Ruhe, Gedanken zu ordnen und niederzuschreiben habe ich nicht. Jedenfalls nicht in den letzten Wochen.

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Ich habe vorhin im Bus auf der Facebook-Pinnwand eines alten Freundes ein Zitat von Glenn Miller gelesen. Manchmal ist es durchaus ratsam, andere sprechen zu lassen, wenn man selbst nicht genau weiß, wie es geht.

Mit der deutschen Sprache ist es wie mit meiner Frau. Ich liebe sie, aber ich verstehe sie nicht…

Wir sind über die Tage wieder unten am See, wir sind über die Tage unten am Wasser. In der Sonne. Fernab von zu Haus.

Plädoyer für das Fahrrad

In den öffentlichen Verkehrsmitteln dieser Stadt wird mir immer schnell flau. Das passiert nicht nur in neuen Bussen, die auf der Strecke, die ich üblicherweise befahre, kaum eingesetzt werden, sondern vor allem in den alten Modellen, in denen bereits Generationen von Studenten und Universitätsmitarbeitern vor mir zu den naturwissenschaftlichen Instituten in den Wald gebracht wurden.

Nach was ich ich sehneAuf der Hälfte der Strecke gibt es ein sehr schlechtes Stück Straße, kurz vor einer unnötigen Schleife, die einige Minuten Reisezeit kostet (bzw. das Leiden verlängert), über das die Busse ruckeln, seit ich sie fahre. Heute dreht sich mein Nachbar zu mir, feststellend «das könnten sie auch einmal reparieren». Ich nicke und hoffe, er stellt keine Frage, bei deren Antwort ich ihn anschauen muss und draußen die nötigen Fixpunkte ungenutzt ziehen. Mir ist schlecht, wie mir immer schlecht ist an dieser Stelle.

Und doch bin ich mit dem Bus nach Oslo gefahren oder das lange Stück durch Nordspanien. In Reisebussen geht es mir besser, nicht weil die Busfahrer weniger wahnsinnig wären, allein sie haben nicht die Möglichkeiten, die der Stadtverkehr bietet. Und dieses eine Stück Straße, das gibt es nur in dieser Stadt, am Fuße des Bergs.

How to survive a shitstorm

Auf dem Weg, den ich morgens hin und abends zurück nutze, liegt auf den letzten Metern vor meinem Büro seit zwei Tagen die zusammengekauerte Leiche einer Wühlmaus.

Helgoland Trash Bin Draußen jagen die dunklen Wolken einander; doch morgens streckt sich der Wald mir intensiv grün ins Gesicht als würde er sagen, er hat mich vermisst. Kinderschreie brechen durch das Unterholz – des ersten Ausfluges in den Wald wegens. Sie beäugen mich kritisch, weil sie Platz machen müssen, gefordert von ihrer Aufsichtsperson.

Es ist seltsam, in so kurzer Zeit wieder zu fühlen wie Monate zuvor. Als sei man nicht geflüchtet für die wenigen Wochen an einen anderen Ort. Als wäre das Flüchten umsonst, als fände die Flucht niemals statt. Ich kann mich nicht einmal an den Geruch erinnern, jenen speziellen Geruch dieser Küste.

Als sei ich immer hier gewesen.

Der Titel entstammt dem gleichnamigen Vortrag von Sascha Lobo auf der re:publica 2010.

Sweet Lullaby

Das ist es also, mein Zimmer. Ich hatte mich bereits entwöhnt. Entwöhnt von den Cocktail-Sesseln und der alten Couch, die Frau Hoffmann so liebt, der Reisetruhe und der Musik, die durch den Raum zieht zu gemütlicher Zeit.

Nachdem ich den Abend damit verbrachte, Rucksäcke aus- und meinen Schreibtisch umzuräumen, fühle ich mich wieder zu Hause mit der Freude, die nächsten zwei Wochen regelmäßig in meinem Bett zu schlafen, bevor ich es wieder eintausche gegen Betten in fremden Hotels.

Helgoland bei Nacht

Und dennoch: Erzähle ich von der Insel schwingt nicht nur Freude im Ton. Auch etwas wie Sehnsucht, so geht es mir immer, kehre ich nach einiger Zeit in dieses Zimmer zurück.
Was nicht heißen will, ich leb hier nicht gern.

Liederbach

Frankfurt im April

Das wird für mehr als zwei Wochen das Letzte sein, was ich von der großen Stadt sehe: Hinter einem Fensterbogen im ersten Stock des alten Bahnhofs, direkt unter dem Scheitelpunkt des Daches der südlichen Halle, in der die Fernverkehrszüge abfahren, schaue ich auf die mäandernden Menschen. Neben mir dampft eine Tasse Kaffee während ich überlege, den Zug um kurz vor neun zu nehmen oder zwei Stunden zu warten, den Ausblick genießen.

«Wozu willst Du nach Bayern?« fragte sie gestern, als wir im Liederbachtal standen und die Sonne am Himmel. Es fällt schwer, darauf etwas zu entgegnen.

Ich wohne die nächsten Tage in einem Appartement mit Blick auf die See. Vielleicht kann man das Festland noch sehen, wahrscheinlich nicht. Ich kenne erste Fotos mit Robben am Strand und leider auch die Prognose bezüglich des Wetters. Im Regen werde ich die Augen schließen und mich zurückträumen zu dem wunderschönen Mädchen, zurück in das Tal.

3/17/10

Ich habe Kollegen, die wissen beim Aufreißen der monatlichen Abrechnung auf den Cent genau den Unterschied zum Vormonatsgehalt.
Ich habe Kollegen, die sagen, ich zahle für mein Telefon zu viel und könne die Leistung für fünf Euro weniger bekommen, wenn ich zu drei verschiedenen Anbietern wechsle. (Und sie nennen mir deren Namen und den Tarif!)

A letter from Carly Comando

Mich interessiert das alles irgendwie nicht.

Mich interessieren Dinge wie dieser Brief aus den Vereinigten Staaten, der einer CD beilag, die heute im Briefkasten war. Mich interessiert diese Musik, mich interessieren Bücher und was wird. Das ist Luxus, ich weiß, den ich mir vielleicht nicht mehr leisten kann irgendwann, wenn ich nicht sofort fünf Euro monatlich spare.
Wie ich so hineinleben kann in den Tag? Ich müsse doch planen und ob ich schon riester‘?

Aber: Mich interessiert das alles irgendwie nicht.
Was nicht heißt, es wär‘ mir egal.

Die Altersflecken als Orden

Die Karotten, die ich gerade esse, sind übersät mit Altersflecken und beeindruckend weich. Die ehemalige Mitbewohnerin, die auf einen Tee vorbeischaut, lacht mich deswegen aus und erklärt mir, man könne nicht einfach so fasten. Mein Einwand, es sei doch nur für den Tag, quittiert sie mit einer hochgezogenen Braue.

Wir unterhalten uns eine Weile über diesen Artikel der ZEIT, wechseln dann lieber das Thema. Dennoch: Die Altersflecken auf den gestern gekauften Karotten sind für mich Beweis für den Verzicht auf schädliche Dings, und das kommt meinem Vorsatz mich vernünftig ernähren angenehm nah. Auf dem Tisch schlägt der Kräutertee auf dem Stövchen zuversichtliche Blasen, daneben warten drei Mandarinen auf ihr Schicksal in meinem Magen. (Dort werden sie heut nicht viel finden!)

Es ist nur für den einen Tag. Doch vielleicht, wenn niemand zu Haus ist, vielleicht morgen abend, dann koche ich mal.

Calcium 800 mg

Die eMail eben beschloss ich mit ,,Ebenfalls sonnige Grüße aus“, jener Phrase, die ich sehr häufig verwende, um wem zu sagen, wo ich gerade bin. Diese Antwort ging nach Albanien und suchte die «24°C und Sonne» in der Ursprungsmail zu relativieren.

Seitdem regnet es.

Wegen des Wetters haben wir die Planung geändert und werden die vier Tage fernab des See verbringen, an einem Ort mit Badewanne. Während ich uns ins Wasser träume mit an die Scheibe prasselndem Regen, bin ich mir ebenso sicher, dass es nicht regnen wird – weder unten am See und bei uns. Die Wettervorhersage macht sich dem Wetter gemein: Hier möchte sich niemand entscheiden.

Sanssouci

Barefoot and Purple

Nach dem dunklen langen Winter das erste Mal nicht zu Fuß sondern auf dem Fahrrad jenen Wald durchqueren, auf alten Wegen, beinahe vergessen, freue ich mich über jedes Wiedersehen mit den alten Schlaglöchern und Unebenheiten, die den Winter überlebten. Ich fühle mich seltsam wie ein französisches Schloss, das den Frühling freudig begrüߟt.

Ich freue mich auf den Urlaub im April, wahrscheinlich Helgoland. Dort soll es Robben geben und UMTS, was in genau dieser Reihenfolge wichtig ist. Und wichtiger: Wenige Menschen. Einige hundert Kilometer Abstand zwischen dem Hier, Gischt im Gesicht, dem, was sie hessisches Mittelgebirge nennen, entkommen; Und den Möwen nachschauen.