Wenn du vorbeifährst, kann ich nicht halten

Du warst da, ich konnte nicht bei dir sein. Wir standen Schulter an Schulter, du warst unendlich weit weg. Als hätte wer den Schalter umgelegt;
Ich konnte kaum mit den Menschen, die so wichtig für mich wären.

Und dann war der Abend vorbei
und der Morgen war da.
Auf der blauen Couch, viel zu kurz, wie die Nacht. Wir saßen zerstört
den Abend in den Knochen.
Wir haben den Kopf geschüttelt, die Gedanken zu ordnen.

Wir ziehen die Sonnenbrillen tiefer ins Gesicht;
Wir können besser denken, wenn es dunkel ist.

Karl

Ich bin am Freitag mit etwas in Kontakt gekommen, dessen Existenz mir zwar bekannt war, was ich aber irgendwie immer fernab meines Kosmos gesehen habe:

Trinkspiele

Genau genommen das Bierspiel. Es geht tatsächlich nur ums Saufen, ich war der Einzige, der sich über die Aussetzen-Felder freute. Und der peinlich genau darauf geachtet hat, auf keinen Fall mehr Bier zu trinken als gefordert. Wahrscheinlich der Einzige, der das alles nicht verstanden hat. Ich war nur zwei Runden dabei, danach stand ich bei der Raucherin auf den Balkon. Lieber passiv rauchen als aktiv saufen.

Und hätte mir der beste Freund drinnen den Rücken nicht freigehalten und mich laufend entschuldigt, wäre ich wohl als Spaßbremse des Abends in die Geschichte eingegangen. Später, als ich ihn in die Fachschaft brachte, dachte ich an Herr Lehmann.
Vielleicht fühlt man so, wenn man viele Stunden vorher zusammen in der Sonne gesessen hat.

Der Wind vertreibt die Wolken
An diesem ersten Sommertag
Wir genießen unsere Freizeit
Und trinken warmes Bier im Park

Nice to be in this strange town

Auf Konzerten stören mich doch immer die Menschen.

Da vorn der etwa, der schon als Kind der Freund war, über den man nicht redet. Heute lässt er sich das Rolex-Imitat von einem Kollegen aus China mitbringen und kann auch auf dem Konzert die optimierten Abläufe, die er als Bürofuzzi im mittelständischen Betrieb braucht, nicht ablegen. Darum gibt er seine und die leere Flasche des Kollegen, mit dem nie jemand spielen wollte und der nicht »Nein« sagen kann, vor der ersten Zugabe ab – weil die Theke schön leer ist.

Oder der Bootlegger im Jeansanzug mit seinem Mikro am Revers, der wütend abwechselnd zu mir und dann zu den Mädchen schaut, denen die Musik anscheinend nicht so gefällt. Die lieber reden und das Bootleg versauen.

Oder die von meiner Begleitung als Pinguin-Frau betitelte Mittvierzigerin mit dieser Brille, die jeder Aprés-Ski-Party würdig wäre. Die leider gar nicht singen oder tanzen kann. »Aber andere sind damit auch berühmt geworden« und lässt sich von ihrem weißhaarigen Begleiter etwas bringen, dass wie mexikanisches Bier aussieht.

Dann beugt sich der Mittelstandsingenieur zu meiner Begleitung, „wie cool“ das doch sei.
Auf Konzerten stören mich doch immer die Menschen.

Security vorm Supermarkt

»Es sieht aus wie im Krieg« denkst du, wissend, dass dieser Vergleich ganz und gar ungültig ist, denn erstens warst du – Gott sei Dank – nie im Krieg und zweitens kann man das sicher nicht vergleichen, den Wahnsinn dort mit jenem des Rosenmontag. Abgesehen von den Häusern, die es unbeschadet überstanden und dem nicht zerbrochenen Glas der Scheiben aber: Es liegen Menschen auf den Straßen.

Während du vom einen Epizentrum ins nächste läufst, in dem du schließlich wohnst – vielmehr: in der zur Latrine umfunktionierten Gasse; daran hast du dich mittlerweile gewöhnt – in welchem betrunkene Punks am Brunnen sitzen der Staatsmacht gegenüber, die den Rest des Rathausplatzes in Beschlag genommen hat, in diesem Bierdunst, der den gesamten Weg über der Stadt lag, in den Zeiten, in denen du Wikinger oder schwankende Lolitas an den Pranken Betrunkener siehst, die sich heute mit Jogginghosen in die Stadt und also ins öffentliche Bewusstsein trauen, welches nicht mehr vorhanden zu sein scheint, sogar nicht mehr vorhanden ist, sind die Kopfhörer deines MP3-Players kaputt. Die neuen warten zu Hause. Doch dort brauchst du sie nicht.
Und heute abend werden die Mülltonnen rausgestellt.

Richtsberg Night Life – das ist hart wie Titan

Erwähnt man »Marburg« und »Musikszene« in einem Satz, fallen mir wenige Dinge ein: die besten Bands kommen sowieso nie oder selten, die ehemalige Punkband eines Freundes, dass ich Tomte vor mehr als zehn Jahren hier als Vorgruppe der Boxhamsters kennenlernte und jemand, der uns auf der Straße ansprach »Ihr kennt mich nicht, aber ich kenne euch aus dem Internet« und heute einer meiner liebsten Freunde ist.

Was ich bisher nicht wusste: Marburg ist offenbar eine Hochburg des Ghetto-Rap. Spätestens seit den neuen Busfahrplänen, mit denen man kaum mehr ohne Umstieg an jenen Ort kommt, der diese Musik gebiert, suhlt man sich im Aggro Berlin Image. Ein Jugendlicher aus der Hauptstadt hat den Richtsberg sozialisiert und ein Video darüber gemacht (Achtung, explizite Lyrik!):

Welcome to the Whorehouse

Weltmeister der Herzen – für andere bloß Wunschdenken, Marburg geht da mindestens einen Schritt weiter und installiert am »Spiegelslust«-Turm (sic!) gegenüber des Schlosses ein überdimensionales Herz, dass man mit einem Anruf der Nummer 09005 / 771207 illuminieren kann.

Elisabeth-Herz am Spiegelslust-Turm

Auf den nächtlichen Bildern der Webcam sieht es tatsächlich wie ein überdimensionales Puff-Herz aus und ist damit an Skurrilität kaum zu überbieten. Tatsächlich leuchtet das Ding weiß. Schade eigentlich, dieser Stadt stünde Extravaganz gut.

Nachdem Marburg den größten hessischen Puff das größte Großbordell Mittelhessens beheimatet, mit einem roten Herz am Berg hätte es jeder geglaubt. Und eine Idee für die Überarbeitung des ausgelutschten »Marburg hat keine Uni, Marburg ist eine Uni« hätte ich auch schon…

{Ex,Ätz}PD

Liebe „Sozialdemokratische Partei Deutschlands“,

ich habe es wirklich versucht mit uns beiden. Ja, die Mitglieder der Jusos sind nett und engagiert. Das ist wichtig für eine Partei, die an Mitgliederschwund leidet und keinen Grund dafür findet. Schaute ich nur auf die Jusos, wäre mir der Grund auch schleierhaft.

Du hast Dir aber wirklich Mühe gegeben, zu vergrätzen. Da behauptet der amtierende Vizekanzler, dass man, wenn man schon länger lebe, gefälligst auch länger arbeiten solle. Anschließend habe ich das „Sozial“ aus Deinem Namen gestrichen.

Liebe „demokratische Partei Deutschlands“, natürlich habe ich mir bei der Vorstellung der Kandidaten für die kommende Landtagswahl hier in Hessen die Gelegenheit nicht entgehen lassen, beide in Augenschein zu nehmen. Bei der anschließend stattfindenden Abstimmung, welcher Kandidat der geeignetere wäre, hat die Basis mit „großer Mehrheit“ (Zitat: »Vor der letzten Vorstellungsrunde am Donnerstag im Unterbezirk Odenwald steht es 17:8 für Walter«) gegen Frau Ypsilanti gestimmt. Beim Landesparteitag hingegen wurde sie von den Deligierten schließlich offiziell als Herausforderin benannt. Anschließend habe ich das „demokratische“ aus Deinem Namen gestrichen.

Liebe „Partei Deutschlands“, wasch‘ dich und rasier‘ dich mal. Dann wirst du auch innerhalb von drei Wochen neue Mitglieder finden.

Schwachsinnige Partei Deutschlands

Wir leben länger, arbeiten aber nicht länger, sondern insgesamt eher kürzer.
Und da muss man gar nicht Mathematiker sein, da reicht halt Volksschule Sauerland um zu wissen: kann nicht hinhauen.

Den ersten Gedanken darf ich nicht schreiben, möglicherweise verklagt mich dann ein mitlesendes SPD-Parteimitglied wegen Beleidigung seines Ober-Muftis (man verzeihe mir die Wortnähe von „Mufti“ und der oben – übrigens aus der Tagesschau zitierten – Textpassage des Herrn Vizekanzlers).

Was „kann nicht hinhauen“? Wo ist die Basis dieser Rechnung? Floskel-Franz im Einsatz: »Achtung, ich bin einer von euch!« ruft der Herr Besserverdiener vom Podium, um den (seit gerade) Seinigen ins Gesicht zu schlagen. Wer länger lebt, soll gefälligst länger arbeiten, damit er von der Forschung in Sachen Schulmedizin, die er – ungefähr – 45 Jahre mitfinanziert hat, weniger profitiert. Und das lässt sich die Bundesregierung mit ihrer Initiative 50plus richtig was kosten.

Vielleicht fehlen mir ein paar Informationen, vielleicht ist der Herr Müntefering aber auch einfach schlauer als ich. Aber:

  • Warum bitte muss länger gearbeitet werden, wenn die Arbeitslosenzahlen von fehlender Arbeit sprechen?
  • Warum subventioniere ich „die Alten“ mit horrenden Beträgen, während die Jugend aus Aussichtslosigkeit Amok läuft (diese bösen Killerspiele!). Weswegen ermögliche ich demjenigen, der vielleicht nicht mehr arbeiten möchte, keinen früheren Eintritt ins Rentenalter (Konditionen sind zu klären!) und damit dem Schüler, der am Lehrstellenmarkt vielleicht leer ausgehen würde, keine Berufsausbildung?
  • Warum also wird in Zeiten des Wohlstands und des technischen Fortschritts davon nichts an den Teil der Bevölkerung zurückgegeben, der das Erreichen dieses Zustandes ermöglicht hat?
  • Warum nennt sich die SPD sozial?

Argumente für diese Regelung kommen – natürlich – aus der Wirtschaft. Die Gesellschaft altere und es gäbe immer weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, stellt Herr Schleyer vom „Zentralverband des Deutschen Handwerks“ fest.
Den Gedanken, die Zahl jener Beschäftigungsverhältnisse zu verringern, die Last des Sozialsystems also wieder auf mehrere Schultern zu verteilen, blendet er aus. Er ignoriert damit die soziale Verantwortung der Unternehmer; symptomatisch für den perversen Profilierungszwang der durchlobbyisierten Politik (bevor der SPD-Sympathisant hier „siehste!“ ruft: deine Partei ist mindestens ebenso ignorant).

Ein Wort, das Arbeitnehmervertreterhyänen nicht gern hören: Deregulierung.
Und der Glaube an das Gute in den Menschen und den Konzernen. Aber wahrscheinlich sind jene in den marmornen Vorstandsetagen ähnlich weltfremd wie die gewählten Bundeshornochsen in Berlin. Doch ersteren traue ich mehr.

In aller Freundschaft:
Weil die SPD ja gerade an ihrem neuen Grundsatzprogramm arbeitet, empfehle ich dringend die Aufnahme folgender Passage:

Die Volkspartei SPD ist die treibende Soziale Kraft Deutschlands!
Jedem Bundesbürger steht nach seinem Arbeitsleben, dessen Dauer mit seiner Lebenserwartung gekoppelt ist, eine Rentenzeit von maximal fünfzehn Jahren zu.
Die Initiative 82plus hilft Menschen beim Verlassen ihres maximalen Rentenalters bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben!

Diedrich Diederichsen

Brief an die Eltern: Negativ aufgefallen weil uncool verhalten:
Hat laut versucht zu atmen und die Luft für sich behalten.

Weil ich gute Geschichten mag, weil ich sie gern lese und weil ich mich in Situationen, die aus Amélie-esken Filmen stammen könnten, weil ich Bilder liebe und weil ich unbedingt Teil einer Jugendbewegung sein möchte, kommt mir der Geburtstag von Onkel Ingo im letzten Jahr ins Gedächtnis. Und damit Diedrich Diederichsen, der mich in Ingos Stammkneipe angelächelt hat (ja, Doreen, er hat mich angelächelt!). Und weil ein Auslöser immer auch Konsequenzen bedingt, fällt mir jene Geschichte ein, die ich vor Jahren las und die mir gut gefiel. So schließt sich der Kreis, ich habe sie heute wiedergefunden: In einem Forum für höfliche Paparazzi.
Dass ich in beiden seiner Bücher, die ich besitze, auf Seite zwei stecken blieb, daran werde ich nicht gern erinnert. Trotzdem.
Vorbilder sehen so aus:

Diedrich Diederichsen

Nein, kein Vorbild. Mir gefiel nur das Foto.

Foto von Scheinschlag.de.