Ein Toter mehr, was macht das schon?

Am Morgen dieses Tages war das Wetter annehmbar und die Luft kühl.

Mein Kopf ist, seit ich davon gehört habe, leer. Alles, was ich schreibe, erfordert größte Anstrengung. Ich habe mich heute mit drei Programmiersprachen beschäftigt, der Output ist immateriell (abgesehen von den fünfzig Zeilen Haskell-Code heute morgen) – also deprimierend.
Ich habe nicht einmal Bilder als Platzhalter für die Leere. Wo ich bin, ist nichts. Wo du bist, Leichen.

… Beglückwünsche sie. Mach ihr den Hof. Sag herzlich Danke, pack deine Siebensachen und verbringe Weihnachten in Marburg. Völlig verschissen!

(SMS, 11.11.05 17.28 Uhr)

Heute starb eine Katze im Maul zweier Hunde, zu Bestien gezüchtet von anderen. Doreen ist zu Hause und holt ihre Katze. Das war absehbar wie die Reaktion der Besitzer. Die Hunde bekommen einen Orden und beim nächsten Stammtisch ein Prost auf die Jagd.
Ohnmächtige Wut auf Bekannte.

Am Abend dieses Tages ist der Regen, der durch gefrorene Luft auf kalte Körper fällt.

Ich hasse Menschen.

Der Weg des geringsten Widerstandes

Zum wiederholten Male werden im Gespräch Argumente gegen ein Studienfach gebracht, was gern gewählt werden würde, aber bei dem zu erwartenden Aufwand inakzeptabel ist.
Was mache ich falsch? Wenn ich neben meinen spießbürgerlichen Ansichten die Meinung vertrete, man solle sein Studium bitte nach Interesse wählen und nicht nach einer Aufwandsabschätzung, falle ich dann endgültig in die Menge der FDP-Wähler? Ist es völlig uncool, länger als zwölf Semesterwochenstunden in Vorlesungen, Seminaren und sonstigen Lehrveranstaltungen zu verbringen? Ist um 7 Uhr aufstehen so ungewöhnlich, dass fünfundsiebzig Prozent aller Gesprächspartner irritiert nach dem Grund fragen?
Völlig uncool ist meine Meinung: Nach diesen Kriterien entscheidende Studierende gehören nicht an die Universität. Sie sind – auch im eigenen Interesse – in einer Lehre besser aufgehoben, als (eventuell staatlich gefördert) einige Jahre nichtstuend in ihren Wohnungen zu lungern. Im eigenen Interesse deswegen, weil sich der an Faulheit gewöhnte Mensch kaum mehr von selbst aufrichten kann. Ich weiß leider, wovon ich spreche.

Das ist keine Brandrede gegen geistes- oder sozialwissenschaftliche Fachbereiche. Das ist der Eindruck, den ich habe, wenn Studenten nach vielen Semestern (falls sie überhaupt) noch in den Vorlesungen sitzen, gähnend kommentieren „wie langweilig“.

It came from the ground

Das einzig Produktive am eigentlich Uni-freien Tag war das Treffen unserer Lerngruppe heute morgen. Schon am Nachmittag forderte der Schlafmangel in letzten Tagen Tribut und zwang mich auf die Matratze, erst lesend, später wälzend, geweckt von einem Telefonanruf kurz vor dem Friseurtermin.

Die Invasion der Freaks, eine nicht annehmbare Einladung, fünf Stunden später und doch nicht schlauer. Ein Mensch hat meine Handynummer, ein Mensch, der weiß was geht.

Es ist Wochenende, es regnet in Berlin.

Tinnitus in Theorie

An die Tatsache, dass mir mein rechtes Ohr – hörsturzgeplagt durch das ein oder andere Konzert – zeitweise pfeiffend durch die Lappen geht, habe ich mich gewöhnt. Als ein temporärer Tinnitus auf dem linken Ohr während der Medientheorie-Vorlesung meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war ich mittelstark irritiert.

Das Studienfach der Medienwissenschaften befindet sich im Umbruch: Für den Magisterabschluss werden keine Neueinschreibungen mehr akzeptiert, die Verschulung der BA-Studiengänge hält Einzug, mit ihr Elitessen aus besseren Elternhäusern. Die BWLisierung des Auditoriums mag ebenso an der Sympathie des Abschlusses liegen (wird der Bachelor, sogar der Master-Abschluss hierzulande unterhalb des Universitätsdiploms angesiedelt, scheint er die ursprünglichen Magisterstudiengänge aufzuwerten – the name makes the game) wie an „Sandy, die unbedingt zu MTV will“, die Knut schallend in einem unserer Kaffeehausgespräche ins Bewusstsein brachte.

Kann man das so stehen lassen? Die Wenigsten vermissen die verqualmten Hörsäle auf den Fotografien der siebziger Jahre, der stereotypische Geisteswissenschaftler als Konglomerat aus Kleidung, Überzeugung und Motivation, wie von Frank Goosen geschildert, findet sich heute bestenfalls in den Fachschaften.
War die ludenhafte Kleidung früher politisches Statement, beziehen selbsternannte Revolutionäre ihre Guevara-T-Shirts mittlerweile aus H&M. Wegen marktorientierter Ausrichtung schwimmen die Systemgegner mit der Haute Couture, tragen pastellfarbne Schals der bikapitalen Kleidergeschäfte.

Mit den Jahren wurde dem weitaus größeren Teil das gesellschaftspolitisch bedingte eigene Wohlbefinden wichtig. Der Dresscode bestimmt den Tagesablauf. Anzugbeschlagene Individuen scheinen besser organisiert, arbeiten im gesellschaftlichen Sinne produktiver und stehen häufiger „unter Strom“. Den Alternativen eilt der Ruf der Schludrigkeit, der Unorganisiertheit und des Desinteresses voraus.
Die Wahl fällt – fragst du mich – leicht.

(Mir bekannte) Ausnahmen gibt es immer.

Der Rotschopf schaut vom Fenster herüber.
Ich glaube, sie weiß, was ich meine.

Mein Therapeut und ich haben die Schuldigen erkannt

Als wir Leo abholten, stellte der Besitzer unser zukünftiges Haustier als Kommentier-Kater vor. Leo hat zu allem eine Meinung: „ich gehe auf Toilette“, „ich war auf Toilette“. Wenn er etwas nicht mag, wird geschrien, wenn er Hunger hat, wird lauter geschrien, wenn ich heimkomme, begrüßt er mich durchs Treppenhaus. Ja, er singt sogar mit Bob Dylan.
Und wenn ich ihn drücke, quittiert er das mit einem wohligen Schrei. Diese Art von Quittungston kommt freiwillig und klingt anders als die erzwungene, die man mit etwas mehr Kraftaufwand einfordern kann.

So stand ich eben in der Dusche und dachte über Quittungstöne nach. Die Standardpiepser bei meinem Handy habe ich abgeschaltet, das Knacken der Tasten gibt mir aber akustische als auch mechanische Rückmeldung. Auch das bei Tastaturen mechanisch bedingte Klacken lässt den Autor nicht im Ungewissen, auf den Sound beim Drücken eines Menüpunktes im Computer kann man getrost verzichten, liefert doch die Maustaste genügend Information. Apple hat in seine neueste Maus einen Piezo-Lautsprecher integriert, der bei Tastendruck das altbekannte Geräusch wiedergibt, weil das neue Modell berührungssensitiv und nicht mechanisch arbeitet.

Dass Rückmeldungen positiv aufgenommen werden, ist lange bekannt und die Idee hinter Sound-Design. Nicht nur bei Oberklasselimousinen stehen mannstarke Teams bereit, die nichts anderes tun, als das Zufallen der Tür mit der richtigen Akustik auszustatten. Das Schließen des Kofferraums soll auf keinen Fall blechern sondern wertig und schwer klingen, bekannter sind die Lautsprecher in neueren Autos, die bei Blinkerbetätigung die Schaltgeräusche des Relais aus alten Tagen ersetzen.

Auch das Design einer Betriebssystemoberfläche bietet Platz für Goodies. Immer wenn wir das Thema streifen, erzählt Knut begeistert vom Anmeldefenster bei Mac OS X, dass bei einem falschen Passwort mit dem Kopf schütteln (sofern das ein Fenster tun kann). Auch diese Form der Rückmeldung bedient eine altbekannte Situation: das Bild des verneinend kopfschüttelnden Gegenüber.

Die Grundlage für den Lautsprecher in der Maus waren Tests mit Computeranwendern. Wer einmal auf einem Rechner mit Folientastatur oder einem alten MSX-Rechner mit Gummitasten schrieb, weiß wovon ich spreche. Oft schaut man seiner Hifi-Fernbedienung nach, um sicherzugehen.

Den letzten Quittungston des Abends gibt die auf meinem Kopfkissen schlafende Katze, wenn ich ihr verdeutliche, wo mein Kopf schläft.

Tod eines Kritikasters

Den einstigen Buchhändler, der bis zur Schließung des Großteils seiner Filialen mit Argusaugen darüber wachte, dass keiner der Angestellten pausiert, sitzt oder isst, habe ich heute hinter seiner letzten Kasse sitzen sehen, den leeren Blick auf einen Stapel reduzierter Mangelware.

Mitleid kann ich nicht empfinden, hätte er in seinem verbliebenem Raum noch Angestellte, ich würde ihn dafür hassen. Er hat – das war schließlich ein offenes Geheimnis – seine Angestellten nicht bezahlt, die entweder mit unlauteren Mitteln oder gar nicht an ihren Lohn kamen, bekam trotzdem von der Arbeitsagentur Bewerber zugeschanzt, die bei der Namensnennung des Händlers nichts Böses ahnten. Auf Nachfrage gab sich der Sachbearbeiter im Amt wissend.

Ohne selbst für ihn gearbeitet zu haben, bekam ich viele Kleindramen mit. Dass mir der Hals platzte, ist das letzte Kapitel unserer Geschichte, kurze Zeit später konnte er die Miete seiner Büroräume nicht mehr zahlen. Wohin es die monatelang unbezahlten Vollzeitkräfte verschlug, weiß ich nicht. Ahne aber wohl, warum die ganze Geschichte den Bach runterging:

Der Chef war ein, wie man sagt, Arschloch wie es im Buche steht, stets laut, unbeherrscht, ein Aasgeier mit Mundgeruch, der über die Einhaltung oben genannter Prinzipien herrschte. Sein Sortiment war grotesk. Zwar kenne ich weder Verkaufszahlen noch statistische Erhebungen, dass seine Warenauslage aber kaum Passanten ansprach, war wohl jedem außer ihm selbst klar. Er war unbelehrbar, rechthaberisch und pleite.
Und nicht bereit, über seine Situation nachzudenken.
Seine Domain funktioniert auch lange nicht mehr.

Der große Graben

Es wird ernst, da drüben, über dem Büro.
Das Gestreiche, Gebohre und Gebaue lässt mich nach Vorhängen suchen und – ihr Wort in Gottes Ohr – auf Besuch hoffen. Regen hat sich über die Stadt gelegt und die Gassen gespült, draußen ist es wunderschön. Ich säße gern im Café, Menschen zu beobachten und das gute oder notwendige Buch zu lesen. Bei einem Cappuccino zu bloggen.

Ich bekam den Tipp, Kerzen zur Illumination des Raumes zu verwenden, um dem Gebrumme und Kaltlicht meiner Lampe zu entkommen. Ich liebe die Atmosphäre, in die Teelichte diesen Raum tauchen, doch vermisse zwei oder drei Möbel. Auf etwas muss man sich ja freuen nach dem Studium.

Erfreulich überdies, dass im Schaukasten der Marburger Neuen Zeitung einige meiner Kleinstartikel in kaum abgeänderter Weise vorzufinden waren. Sogar mein Kürzel haben sie verwendet. Ich hätte es nur gern einige Stunden früher gewusst.

Gegenüber zeigt die Tochter ihrer kopfschüttelnden Mutter das Zimmer.
Willkommen in Marburg.

Studenten! Studenten! Wir zahlen eure Renten!

Marburg ist vor allem bekannt durch seine historische Oberstadt und durch die gleichnamigen Aufzüge. Marburgs Oberstadt wiederum ist bekannt für die kleinen, phantastischen Gässchen, in denen man fast stundenlang wandern könnte, ohne Touristen zu treffen. Wenn Marburg größer wäre.
Den Umstand der pittoresk verborgenen Wege machen sich Einheimische gern dann zunutze, wenn nach ausgiebiger Kneipentour oder anderer Festivität die Blase zu voll und eine Toilette zu weit erscheint. Gerade in den Sommernächten, während man bei offenem Fenster schläft… lassen wir das. Würde sich der gemeine Alkoholiker vor dem Einbiegen in meine Gasse umschauen, sähe er höchstens zehn Meter zu seiner Rechten einen bis weit in die Morgenstunden geöffneten Zwitter aus Café und Kneipe, der nicht unüberraschend auch eine Toilette bietet.
Leider scheint Gassenpinkeln ein Sport der Coolen zu sein, denen der Zutritt zu Sanitäranlagen aus spielregeltechnischen Gründen versagt ist: Vor wenigen Tagen skandierten betrunkene Rindviecher in Gestalt zweier Verbindungsstudenten sich über den einzigen Treppenaufstieg in dieser Gegend – gegenüber besagtem Zwitterbistro – ergießend: Studenten! Studenten! Wir zahlen eure Renten!
Welche Gedanken durch die Köpfe der eben diese schüttelnden Renter ging, blieb mir leider verborgen. (Vielleicht Sind wir wirklich auf die Rente angewiesen, Erna?)

Heute entglitt einem Passanten die Kontrolle des anderen Muskels, denn neben einer beeindruckenden Menge dünnflüssigen Kots blieb die gesamte Unterleibsgarderobe in armseligem Zustand zurück in der Gasse.
Bestimmt ein unangenehmes Gefühl, anschließend beinfrei durch die Fußgängerzone seiner Heimat zu irren. Bestimmt beschissen.

Ich weiß, dass es heute morgen klingelte.

Ausgetrunken

Gerade brach beim Tagesthemen-Stream der Ton zusammen. Passenderweise stand Angela Merkel hinter einem Rednerpult und warf ihre typischen Gestiken in den Raum. Immer wieder erinnern mich die senkrechten Mundwinkelfalten an das Gesicht eines Nussknackers und ich denke mir die designierte Kanzlerin aufs internationale Parkett, rhythmisch kauend, gänsegleich schnatternd – doch lautlos.

Angela Merkel

Ein Exemplar meiner treuen Lieblingsfeinde sah eine legitime Wahlbegründung darin, dass endlich eine Frau im Bundeskanzleramt residiere und nippte zufrieden an seinem Bier in Marburgs linker Absteige. Dass sich jener Ort stark über das Politische definiert und besagtes Exemplar Student, also im Besitz einer Hochschulzugangsberechtigung ist,

– womit wir wieder bei lieber ausschlafenden Revolutionären sind –

lässt die zahlreichen Erstwählerchecks des Stefan Raab in den Bereich des Möglichen rücken
Apropos Raab. Ich erzählte ihm noch, dass eine Legislaturperiode vier Jahre dauere und schrieb einen Metzgernamen auf den durchweichten Bierdeckel. „Quotiert“ sagte ich noch.

Um 14.30 Uhr ist Elisabeth da!

Schallplatte bei NachtDer dröhnende Kopf und ein Gefühl der Niedergeschlagenheit, dass ich der Erkältung zuschreibe, läuteten den letzten Tag des Wochenendes ein.
Dass draußen der verkaufsoffene Sonntag in Verbindung mit dem Marburger Elisabeth- und Märchenmarkt tobte, stellte ich etwa fünf Minuten nach meinem Entschluss fest, dass ein Spaziergang befreiend wirken könnte. Das traf bestenfalls für die Nase zu: die Straßen waren verstopft mit kinderreichen Familien, die sich um Bratwurststände oder Fahrgeschäfte scharten, falls die Mütter nicht in Kleidungs- und Kosmetikgeschäften stöberten, während die Väter mit dem Nachwuchs Wellenbrecher in den Menschenmassen waren. Nie habe ich für eine Durchquerung der Oberstadt ähnlich lange gebraucht.

Ein Spongebob-Gasballon kostete 6,- Euro, doch dafür liefen erstaunlich viele Kinder mit dem käseartigen Idioten durch die Gegend, an wirklich guten Vorbildern mangelt es den Ballonständen ja immer.