And any man who knows a thing knows he knows not a damn damn thing at all

Als wir uns irgendwann während des Telefonats ankichern und ich ihm sage, er höre sich gut an, sucht er den Grund im Schlafmangel. »Nein«, sage ich, »ich kenne Dich besser.« Er sagt, er müsse immer an mich denken auf seinen seltenen Reisen im Zug, ich melde mich immer bei ihm, wenn ich an Flughäfen sitze.

Der Blick in die Ferne gerichtet; ich besitze mehr Fotos von Flugzeugen als Fotos von Zügen, und auf ihnen liegt stets diese düstere Romantik und Melancholie.

Departure

Der Zug rast durch die abendliche Landschaft, leidlich erhellt vom Lichtstreifen am Horizont, vorbeirauschende Tannen spiegeln die Funkenschläge der Oberleitung wider gleich einem Stroboskop.

Der Blick in die Ferne gerichtet; manchmal kramt das Unterbewusstsein Erinnerungen hervor mit tanzenden Menschen, schweißnassen Wänden und lauter Musik. Ich bin froh, dass dort draußen nichts ist. Nichts sonst als das Licht und der Wald. Nichts sonst als die Stille, nichts sonst als die Nacht.

Sunset

Dottore Mata

Ich habe noch italienischen Staub an den Schuhen, die ich im vorvergangenen Monat in Mantua trug. Staub von den Wegen zwischen den Kirchen und Palästen, Staub von den Straßen, auf denen wir mit unseren alten italienischen Fahrrädern fuhren. Staub, den ich nicht abtragen möchte am grauen Teppich im Büro vor der Stadt.

Fahrrad, alt, italienisch

Der Weg zu der Kirche führte vorbei an einem riesigen Einkaufszentrum, an damals schon verdorrt aussehenden Gräsern, unter der Mittagssonne, die Ende April schon beinahe unangenehm brannte.

Wenige Tage danach fuhren wir zu einem Radgeschäft – er vorweg in seinem italienischen Cabrio, wir hinterher in unserem gemieteten Kleinwagen – an dem ich selbst mit einer sehr genauen Wegbeschreibung vorübergefahren wäre. Heute schüttle ich den Kopf über mein damaliges Zögern, dieses eine Rad zu kaufen im Hinterhof dieses Geschäfts.

Unser Gastgeber und der Besitzer des Ladens, den er mir auf englisch vorstellte – Radbegeisterte unter sich, und ich mittendrin mit der Ahnung, bestenfalls an der Oberfläche des Wissens zu kratzen, doch immerhin begeistert von alter italienischer Handwerkskunst, deren Namen ich weiß. So halte ich mich gegenwärtig über Wasser: Ich flicke alte Schläuche, um etwas mit den Händen zu machen, mich langsam heranzupirschen an die Normalität, ein Fahrrad komplett zu zerlegen. Ich habe gestern den Keller umgebaut, dass man eine Werkstatt hineinbekommt. Für den Fall, dass das Rad irgendwann da steht, dieses Rad, das ich suche.

Here be dragons

Ich habe durchaus einige Erfahrung im Reisen, bin vorher keineswegs nervös und setze mich selbst nie unter Stress. Weil ich aus der Wohnung aber oft den letztmöglichen Bus Richtung Hauptbahnhof nehme, bereiten mir die Kapriolen der hiesigen Verkehrsgesellschaft regelmäßig Momente des Stresses und hin und wieder einen ungeplanten Aufenthalt im Wartebereich für Vielfahrer der Bahn.

An einem Morgen in Lenggries

Was ich neben der Sache mit dem Bus nie lernen werde, ist die Fähigkeit, passend und der Reisedauer gemäß zu packen. Verschärft wird dies durch mein Bedürfnis, stets nur mit Handgepäck zu reisen, wenn möglich also die Verwendung sperriger und unhandlicher Koffer zu meiden und, das ist die wirkliche Motivation, nie mit mehr als einem Gepäckstück zu reisen. Wer übergewichtige Ferienflieger mit ebenso übergroßen und unförmigen Reisekoffern durch die Gänge der Fernverkehrszüge rumpeln kennt, weiß um die Problematik mehrerer Koffer. Dies und meine erstgenannte Unfähigkeit kombinieren sich zu einer Situation, die mich stets unbefriedigt zurück lässt.

Allein: Ich werde besser. Das Handgepäckstück ließ sich heute morgen schließen ohne Gewalt, ist noch tragbar und dennoch habe ich genügend Kleidung dabei. Will sagen: Bezüglich der Kleidung weiß ich mittlerweile zu packen durch einfache Umrechnung der Reisetage in Kleidung; hier hat man schließlich Erfahrung seit Jahren. Mit Reiseliteratur hingegen hapert es immer bei mir: Heute habe ich zwar kein einziges Buch dabei, aber gleich zwei Stapel wissenschaftlicher Papiere und Studien.

An einem Mittag in Lenggries

Ich bin bis Freitag Abend noch in Berlin.

Schloß Gripsholm

Man muss Sascha Lobo nicht mögen. Ich kenne jemanden, der nur die Augen verdreht, wenn ich den Namen nur erwähne, denn ich finde Lobo durchaus gut. Vor allem wegen seiner beiden re:publica-Vorträge, aber auch wegen seiner Kolumne, die er drüben bei Spiegel Online schreibt. Die Kernaussage der aktuellen Ausgabe lautet: Wenn Du im Netz wirklich frei sein willst, brauchst Du Deine eigene Webseite.

Drive-By Shootings

Ich kann mich also ganz entspannt zurück lehnen, auf mein LiveJournal-Profil verweisen, dass mir eine mehr als zehnjährige Präsenz als Contentgenerator im Netz bescheinigt, oder auf den ersten Eintrag in diesem Blog hier aus dem August 2004. Meine Profile und Seiten bei den ganzen Social-Media-Netzwerken hingegen sind entweder noch nicht einmal halb so alt oder die Dienste und Communities gibt es schon gar nicht mehr (lebt eigentlich StudiVZ noch?).

Google+Und bei Google+ hat sich seit langem auch Ernüchterung breit gemacht, und wenn sie auch diesen Dienst irgendwann schließen, werden die Social-Media-Berater, die heute erst Hangout als unterschätztes PR-Instrument identifiziert haben, sich auf das nächste Unternehmensprodukt stürzen — und der zuerst da war ruft am lautesten, er hätte es immer gewusst. (Auf Google+ findet man übrigens ausschließlich PR- bzw. Social-Media-Berater oder IT- und Netz-Aktivisten, die in ihrer Überzeugung von offenen Schnittstellen komischerweise Google als Verbündeten im Kampf gegen das Böste in der IT ausgemacht haben. Ich möchte aber lieber Bilder aus Italien als die zehnte Diskussion über unterschätzte PR-Indstumente, Bilder von Fahrrädern und Katzen statt Musikvideos, die ich wegen der GEMA und fehlendem Flash sowieso nicht anschauen kann oder Neuigkeiten von den normalen Menschen aus meinem Leben, die Google+ wahrscheinlich noch nicht einmal kennen.)

Ich habe Bekannte gesehen, die von einem Blog-Anbieter zum nächsten umzogen. Sie haben ihre Texte zurückgelassen und mittlerweile mindestens teilweise verloren (weil es den Anbieter nicht mehr gibt oder das Konto gelöscht ist). Sämtliche Texte aus meinem LiveJournal habe ich hingegen in einer Datei auf meiner Festplatte und alle Einträge dieses Blogs sind über das Archiv durchsuchbar. Vor drei Jahren fing ich an, die Einträge in diesem Blog noch einmal von Beginn an zu lesen. Mit dem Wissen, wie eigene Texte nach sechs Jahren wirken, werde ich mich mit Füßen wehren, Relevantes und Wichtiges auf einer Plattform zu veröffentlichen, aus der ich das nicht (einfach) wieder herausbekomme.

Ich hatte vor drei Jahren zum ersten Mal das Gefühl, dass ich diesen Blog nicht nur für meine Leser geschrieben habe.

Vivat academia.

Der Papst lebt herrlich in der Welt,
es fehlt ihm nie an Ablaßgeld;
er trinkt vom allerbesten Wein:
drum möcht ich auch der Papst wohl sein.

Doch nein, er ist ein armer Wicht,
ein holdes Mädchen küßt ihn nicht;
er schläft in seinem Bett allein:
ich möchte doch der Papst nicht sein.

Gaudeamus igiturEine Kollegin verabschiedet sich am Freitag mit den Worten »Dieses Wochenende ist bei uns Ostern« und ich bekomme in der Türzarge noch einen Crashkurs in Sachen orthodoxem Kalender und dazugehöriger Religion. Zur Ehre (ich sage fast: In stillem Gedenken) gab es heute morgen Frühstücksei.

Gestern war ich zum ersten Mal nach der Italienreise wieder im Antiquariat und kam zurück mit dem obligatorischen Stapel Bücher und einigen alten Schallplatten, unter anderem mit einer voller Studentenlieder, die nach dem zweiten Hören langsam ein generves Lächeln auf das Gesicht des wunderschönen Mädchens zaubern.

Manchmal stoße ich auf Verständnisloskeit. Verständnis erwarte ich nicht.

Ich wechsle die Platte.

Der Sultan lebt in Saus‘ und Braus,
er wohnt in einem großen Haus
voll wunderschönen Mägdelein:
drum möcht ich wohl der Sultan sein.

Doch nein, er ist ein armer Mann,
denn folgt er seinem Alkoran,
so trinkt er keinen Tropfen Wein:
ich möchte doch nicht Sultan sein.

Prof. Rudolf Grüttner und BarbaRossa: Papst und Sultan

Mme. Baudrillard

Canon EOS 40DDass die Kamera nicht neu ist, sieht man ihr an. Über die Jahre formten Kratzer und Absplitterungen zusammen mit den üblichen Gebrauchsspuren eine Patina, die dem Gehäuse heute einen sympathischen Charakter verleiht.

Man sieht ihr an: Ich bin mir ihr Schneehänge hinuntergefallen und war auch sonst wenig schonend zu ihr; Ein Objektiv verlor ich, als mir die Kamera in Marokko aus der Hand fiel. Als Ersatz kaufte ich zwei neue, darunter eine sehr lichtstarke Festbrennweite.

Doch mit der Zeit zerren die anderthalb Kilo merklich an der Schulter, man reist stets mit zusätzlicher Tasche und zum Fahrradfahren ist die Kamera deutlich zu groß. Auf wenigen Flügen mit sehr rigiden Gepäckobergrenzen transportierte ich die Kamera und Objektive in Einzelteilen zwischen Laptop, Netzteil und Reiseliteratur.

Fuji FinePix X100Doch wenn ich demnächst wieder Radtouren mache, in Cafés fotografiere und unterwegs reise mit leichtem Gepäck, werden die Bilder von einer anderen Kamera stammen mit einem festen, ebenfalls lichtstarken Objektiv. Von einer Kamera, die ich von heute an stets dabei haben werde.

When I saw you
I fell in love
and you smiled
because you knew

William Shakespeare

Ich möchte schlafen, aber Du mußt tanzen

Ich hatte zahlreiche Bücher dabei, als ich aufbrach nach Italien, von denen ich bis heute etwa zwei Bände gelesen habe. Nach einer Woche fühle ich mich wieder gesund. Unbegreiflicherweise ist meine letzte Italienreise schon drei Jahre her.

IMG_0998.jpgIch war in Mantua, auf Empfehlung, mit seinen Höfen und Gassen. Und ohne das irritierende Gefühl der Allgegenwart Deutscher, das mich über die alten Passstraßen der Alpen noch bis zum Mendelpass begleitete. Weil ich die WLAN-Zugangsdaten nicht sofort fand (und dann später, trotzdem ich sie hatte) eine Zeit fernab des Netzes. Alternativen boten zahlreiche Kirchen und Paläste, die es in Mantua wie in jeder anderen alten italienischen Stadt gibt. Auch darum mag ich die staubigen Straßen des Südens.

Ich komme zurück mit zwei Listen, über der einen steht Wünsche, über der anderen Unbedingt zu beachten!. Ich fühle mich gesund, wieder. Ein Gefühl, dass ich eine Weile lang nicht mehr kannte, das hier Vielerlei lächerlich macht. Ich musste nach Italien fahren, dies zu merken.

Kann ich jedem nur empfehlen.

— Theodor Storm: Hyazinthen

We have a Strategic Plan – It’s called Doing Things.

Es scrollen Meldungen vorbei, wer welches Spiel wie lange spielt und dass ich eingeladen sei zu dieser und jener Anwendung. Seit ich Facebook nicht mehr verstehe, verliert es seinen Reiz. Es ist rhetorisch: Wie macht ihr das mit eurer Zeit?

Braun WatchWenn ich zu Hause bin, habe ich keine Lust mehr auf Akustik, auf sich ändernde Bilder und nicht mehr auf blinkende Anzeigen digitaler billiger Uhren. Doch den hehren Anspruch, nicht phlegmatisch zu sein. Ich sitze wahrscheinlich zu lange vor dem Computer, länger als manch einer verstehen kann. Viel länger, als andere für ein Spiel bei Facebook verwenden.

Felix Krull liegt angefangen neben dem Bett, doch meistens schreibe ich eMails, auf einem Stapel von mehreren Büchern und dennoch lese ich erst die ungelesenen RSS-Feeds des Tages. Regelmäßig beginne ich die angefangenen Bücher von vorn, weil ich mich an die ersten einhundert Seiten nicht mehr erinnern kann; und manchmal fühle ich mich anachronistisch und alt.

Der Begeisterung eines Early Adopters: Vier Kilo schwer und maximal zwanzig Pixel. Zum Ausgleich antiquarische, alt riechende Bücher mit persönlicher Widmung von vor fast einhundert Jahren. Ein paar eMails vielleicht – ich muss das wissen – aber doch bitte keine Bauernhofsimulation!

Collegium Aureum

Wie wir gestern ausgerechnet darauf zu sprechen kamen, weiß ich nicht mehr. Wir erzählten von unserer Art einzukaufen; er mit Auto, der sich ein Leben ohne nicht vorstellen mag, ich mit Rucksack, der seit Jahren alles in Rucksäcken oder Jutetaschen nach Hause trägt. Heute morgen beim Espresso lese ich drüben Don Alphonsos kurzen Text und finde mich wieder.

Jane Goodall - Ein Herz für SchimpansenGestern kamen wir darauf, dass er lieber alle drei Wochen einen Großeinkauf macht im – wie er sagt – besten Aldi der Stadt. Fragt man mich, wann ich das letzte mal in einem Aldi gewesen bin, ich weiß es tatsächlich nicht mehr. Es liegt länger als ein paar Jahre zurück; in der Nähe unserer jetzigen Wohnung gibt es keinen und auch die Vorstadtsupermärkte sind mir suspekt, deren Kassenschlangen unabhängig der Uhrzeit ständig zu lang und deren Auswahl uninteressant. Es ist nicht Bösartigkeit, es ist nur, dass ich mich woanders besser zurecht finde, dass man woanders freundlicher ist.

Also mäandre ich (häufig zusammen mit ihr) durch die Straßen des Viertels. Auf dem stets wechselnden Weg ist der Biomarkt feste Station, meist ebenso der Buchladen am Ende der Straße und der kleine Markt hinter dem international bekannten Museum. Wir kaufen höchstens, was wir tragen können; abhängig von der Reihenfolge der Läden zum Vorteil entweder von Büchern oder von Lebensmitteln. Was vir vergessen – besser: alles, was nicht mehr in den Rucksack passte – kaufen wir unter den Tagen, zwischendurch, etwa Obst und Gemüse, Brot sowieso und hin und wieder ein Buch.

Es ist nicht, dass ich ihn um seinen Einkauf beneide, der alle drei Wochen kostet, was wir wöchentlich zahlen. Bloß manchmal ist ein Auto mein Traum, ein Cabriolet für den Sommer, für die Fahrt in den Berge oder zum See. Es ist allerdings so: So lange ich Platz im Bücherregal habe, werde ich mir ein Auto nicht leisten.