Der sehr alte Hund und sein Herrchen

Du
blöde
Schalotte!

höre ich mich im Hinausgehen sagen und weiß, dass er diesen Satz zu verstehen Jahrhunderte braucht. Es ist beinahe verrückt, wie viele Dinge ich hasse.

Gestern, im Hinterhof zwischen den Mülltonnen, kam die Erkenntnis, dass man mitnichten nachsichtig wird; das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht liegt es daran, sich eine Konsequenz angewöhnt zu haben, keine Zeit zu verschwenden, in der man barfuß auf einer Lichtung voll Moos durch den Wald laufen könnte.
Kurz: man gibt auf sich Acht.

Einhunder Jahre alte Buchrücken

Von den sechzehn gut einhundert Jahre alten ledernen Bänden, die ich heute im Antiquariat auf meinem Weg nach Hause entdeckte, besaß ich nur einen bereits. Später diskutierte ich in einem unscheinbaren Feinkostladen mit einer alten Italienerin, die meine Wahl mit einer Handbewegung mißbilligte und aus einem kleinen versteckten Regal eine Packung Kaffeebohnen zog, überschwänglich lobend, »Bohnen mit Geschichte«.

Es sind Situationen wie diese. Gliche der kleine Laden einem der Supermärkte, in denen die Kaffeebohnen nie ausverkauft sind, ich hätte diese Situation verpasst wie das Gespräch mit einer Sennerin, die endlich Bergkäse mit mikrobakteriellem Lab vertreibt, weil der Käseverkäufer dort anrief und mit ihr sprach.

Es sind Situation wie diese. Schließe ich meine Augen, träume ich einen verrückten Traum, von dem ich keinem erzähle. Vielleicht liegt das daran, dass ich gesehen habe, dass es geht. Während andere gegen den Staub in ihren Billy-Regalen mit Samstags dafür angeschafften Glastüren kämpfen, sind meine Füße dunkel vom Dreck auf unserem Balkon.

Und unten wartet der sehr alte Hund auf sein Herrchen.

Vom Desaster zur Ruhe

Der Balkon ist ungefähr acht Quadratmeter groß. Für eine Wohnung in dieser Lage ist das ungewöhnlich und einer der Gründe, warum wir hier wohnen. Dennoch nutzen wir den Balkon selten, meistens zur Aussaat neuer Samen, die wir von unserer Hausbank zugesendet bekommen. Die Lage Richtung Süden ist dabei ein Großteil des Jahres von Vorteil, an heißen Tagen wie diesen macht sie jedoch einen Aufenthalt ebenda ab etwa elf Uhr zu unangenehm.

Nur Meter vor dem Stopp

An heißen Tagen wie diesen ist allerdings ab elf Uhr alles unangenehm; das treibt mich aus dem Bett zu einer Zeit, die nicht meine ist. 100 Kilometer zu fahren über die Dörfer im Hinterland heißt übersetzt, dass man morgens um sieben im Sattel sitzen sollte, um nicht in die Hitze zu kommen.

Dass ich seit über einer Stunde bei angenehmen Temperaturen auf dem besagten Balkon sitze, mit einem Kaffee aus der italienischen Espressokanne und einem französischen Buch, liegt an der Tücke des Verbundstoffs Carbon und daran, dass der Auszubildende keinen Drehmomentschlüssel hatte in der Werkstatt, die mir die Pedale montierte.

Ein Morgen vor der Wohnung

Die himmlische Ruhe des Nordfriedhofs fällt dann viel deutlicher auf, wenn bei etwas über 30 Kilometern pro Stunde das Pedal ausreißt und man anhalten muss. Nur die fünf Kilometer nach Hause in Rennradschuhen, dieses monotone Geklapper vorbei an den Überbleibseln einer Elektromusikparty der vergangenen Nacht, ist unangenehm. Doch immer noch besser als ein Wasserrohrbruch. (Dort entlieh ich den Titel des Beitrags.)

Wenn wir einmal heiraten, dann schick‘ ich Dir ein Bild aus Wedding

Kurz hinter Halle steht ein altes Gebäude, ein roter Backsteinbau, in der Nähe der Gleise. Während klimatisierte Hochgeschwindigkeitszüge vorbeirasen und Wirtschaftsprüferaugen in Laptops starren, bleibt mein Blick hängen an der Backsteinwand dieses Hauses auf Höhe des ersten Stocks, die nur noch halb existiert. Die andere Hälfte hat der Wind, der hier über die Ebene pfeift, vor Monaten eingerissen. Das Gebäude steht seit Jahren verlassen, wahrscheinlich diente es einst als Fabrik, vielleicht als Werkstatt in Familienbesitz. Ebenso wahrscheinlich zog das Kind der Familie für die Ausbildung nach Berlin.

Ich kann mich nur leidlich erinnern an den Winter 2008. Gegen Jahresende zog das wunderschöne Mädchen nach Berlin und blieb für Monate dort. Aus dieser Zeit kenne ich wunderschöne Ecken, weiß wo das Tacheles steht, die Philharmonie, und seither lehne mich lässig zurück, wenn jemand fragt, ob wir uns treffen wollen an den Hackeschen Höfen und ob ich weiß, wo das ist.

Heute morgen im Nieselregen, an den Ufern des Spreebogens, wusste ich nicht mehr genau, warum ich Berlin damals nicht mochte. Es ist müßig, darüber zu grübeln; Es hilft sowieso nicht, einen Fehler nicht wieder zu machen. Heute morgen im Spreebogen dachte ich auch an den Tod meines Großvaters und die mahnenden Worte der Eltern, zu erinnern was ich an ihm mochte, sicher abgeschirmt vor den Toren der Klink.

Kurz vor der Wildnis

Und ich erinnerte das Gespräch gestern im Bordbistro des Schnellzugs. Irgendwo zwischen Jena und Halle sagte M. «Hier drüben ist Deutschland wundervoll grün.» 

Besser, von Sachen als von Menschen abzuhängen

Ich warf allerlei Gedanken im Kopf herum,
bis endlich folgender obenhin zu liegen kam.

– Georg Christoph Lichtenberg

Schließe ich die Augen und denke an Italien spielt Sepia eine Rolle, wie trockenes Gras im Sommer nach einer langen Regenpause. Ich weiß also, wenngleich ich den Passo della Mendola noch nicht mit dem Rad hinaufgekeucht bin, wie es sich anfühlen wird, denn Staub, Hitze und Trockenheit haben sich in meinem Kopf durchaus manifestiert; wie es sich anfühlen wird, wenn ich diesen Punkt hinter mir habe (auf dem Weg aus Italien oder dorthin).

Sepiafarbener Sommer

Dem gegenüber, vor meinem inneren Auge, scheint mir diese Gegend hier in sattem Grün, das sich abwechselt mit Rapsfeldern, an denen man auf leeren geteerten Wegen vorbeifliegt. Selbst wenn die Sonne ungleich heißer brennt, sehne ich mich nach dem ockerfarbenen Sommer im Süden, nach der trockenen Luft und den vorbeiknatternden alten Alfa Romeos.

So lange sitze ich in einem Café mit einem Buch, dem Laptop und einem italienischen Cappuccino. Hier von einem Kompromiss zu sprechen, würde der Situation nicht gerecht. Es ist eher so, je mehr man liest, desto eher versteht man die Anspielungen des Einen auf das Buch eines Andern. So kommt, dass ich schmunzle zwischen den Tassen Kaffee und während ich dieses eine Buch lese, erinnere ich der anderen zwei. Und das ist mir ebenso lieb.

Die Bücher machen nicht gut oder schlecht,
nur besser oder schlechter.

– Jean Paul

[ das grauen wächst mit der erfahrung ]

Ich las

  • die griechischen Sagen,
  • »Liquide« von Don Alphonso und dessen Blog,
  • »Das foucaultsche Pendel« von Umberto Eco,
  • Bölls »Ansichten eines Clowns«
  • und etliche Bücher Thomas Bernhards.

Ich hörte

  • alles von Tocotronic,
  • Tomte
  • und Kettcar,
  • Hannes Wader,
  • Konstantin Wecker
  • und Konzerte und Lieder von Peryton.

DSCF0974  Arbeitskopie 2

Und Du sagst, Du magst meine Ablehnung nicht leiden.

— t: Peryton

Es ist einfach Rockmusik

Wenn man mich fragt, wer mein Leben prägte, zähle ich oft die Namen einiger Musikgruppen auf, die einzelne Phasen meiner Jugend – und wenn ich so schreibe, sehe ich mich noch immer als Junger – begleitet haben.

Für mein Alter bin ich bin ganz schön altklug sagen sie
doch sie vergessen, ich mach schon immer Rockmusik 

Wenn man mich fragt, wer mein Leben prägte, erzähle ich selten von den Abenden damals vor dem Abitur im Wendehammer und vergesse stets zu erwähnen, dass es sich dabei nicht um eine Diskothek, sondern um einen wirklichen LKW-Wendeplatz in unmittelbarer Nähe zur Autobahn handelt, die Dortmund und Frankfurt verbindet. Für einige Jahre war dieser Platz Teil des Lebens meiner Freunde und mir, an dem wir standen, grillten und aßen, manchmal mit dem Rücken im Gras lagen – die Autos im Halbkreis um uns geparkt – und die Sterne bestaunten. Das war der Ort, an dem manche mir sagten, sie würden jetzt Väter und der Ort, an dem ich den ersten großen Blechschaden meiner Fahrerkarriere erlebte.

Freunde

Streicht mein inneres Auge über den Halbkreis der Freunde von damals, stelle ich fest, dass sie alle noch leben. Natürlich gibt es einige, die gingen, Freunde, die später in Geschichten auftauchen werden als unerreichte Rebellen, die Erzähler selbst niemals waren und als Rechtfertigung vor den eigenen Kindern, selbst anders zu sein (gesittet!), mit einem Familien-Van vor der Tür und nicht mit einem Zweisitzer ohne Kofferraum und undichtem Verdeck. Natürlich gibt es die Toten, doch waren wir nie zusammen an diesem Ort.

Wenn man mich fragt, wer mein Leben prägte, so muss ich erzählen, es waren in Teilen die Freunde von damals. Das hörte auf nach dem Abitur, als man sich trennte, Journalismus und dergleichen zu studierten in unterschiedlichen Teilen der Welt. Es traten andere in mein Leben, doch vergessen habe ich die Abende von damals nicht, auch wenn ich einzelne Gespräche naturgemäß nicht mehr erinnere. Ab und zu findet eine eMail den Weg in mein Postfach, fünfzehn Jahre danach.

Dies ist der Versuch einer offenen Antwort.

— t: Tocotronic – Es ist einfach Rockmusik

Wenn man hier ruhig ist, kann man Italien schon riechen

Gestern Abend auf der Terrasse, als die Sonne hinter den Bergen verschwand, kam man wieder in das alte Gespräch, auf die Themen, die man in unserem Alter noch regelmäßig zerkaut, und man kam zu dem Schluss, dass alles richtig ist und dass man nicht tauschen möchte mit andern. Vielleicht ging der letzte Halbsatz unter auf dem Weg zum Weinregal, in dem die Flaschen des Roten aus Südtirol lagern.

Der See

Auch wenn man durchaus gut lebt in der Münchner Innenstadt kommen doch jedes Mal auf den Seewegen hier Zweifel, ob nicht ein Grundstück (mit Steg) langsam Zeit würde, eine Wohnung am See. Gestern war ich anfälliger als sonst für solche Gedanken, brauchte ich mit dem Rad doch mindestens eine halbe Stunde an den Stadtrand, eine halbe Stunde Wegstrecke mit Ampeln, Radtouristen und unaufmerksamen Fußgängern und Automobilisten.

Motion

Dass die Europameisterschaft im Fußball an diesem Wochenende beginnt, beantwortet man mit einem hoffnungsvollen Blick auf die Wettervorhersage. Fußballspiele bedeuten gähnende Leere auf Straßen. Während einer Ausfahrt auf der Dachauer Straße zu Zeiten eines Nationalmannschaftsspiels verblassen die Themen von jener Terrasse.

Jedenfalls eine Weile.
Jedenfalls bis zum Kauf einer Wohnung am See.

Samstag. Eine Romanze.

Gestern war ein guter Tag. 

Aus unterschiedlichen Gründen war ich bereits eine Weile nicht mehr im Antiquariat, das seit jeher Teil meiner samstäglichen Runde ist, die auf dem kleinen Markt hinter dem Museum beginnt. Was Apfel- und Käsesorten angeht, bin ich noch kein versierter Gesprächspartner, aber man kommt dann eben über andere Dinge ins Reden und trägt Saftflaschen und Gemüsesorten nach Haus‘, die einen eine Woche später wieder auf den Marktplatz treiben (nicht nur des Flaschenpfands wegen).

Mit dem Besuch des Antiquariats beschließe ich die obligatorische Runde, stöbere durch die Bücherregale und die wenigen Platten, die sie noch haben. Während ich den Großteil der Schallplatten bereits kenne – hier ist die Fluktuation erwartungsgemäß niedrig – drängen sich nach einer mehrwöchigen Pause zahlreiche interessante Bücher in den Regalen des Ladens, entsprechend schwer ist die Tasche an Tagen wie solchen.

Für's Wochenende

Bei all diesen Vorteilen der phantastischen Lage der Wohnung – die zahlreichen Museen vor der Tür, die Antiquariate und kleinen Geschäfte in den benachbarten Gassen und natürlich der Markt – wird mir mittlerweile der vielleicht einzige Nachteil bewusst: Die Abendrunde auf dem Rad ist selten kürzer als fünfzig Kilometer; einen Gutteil des Weges braucht man bis an den Stadtrand. Von dort ist es dann dafür nicht mehr weit bis zur Galopprennbahn oder einen der zahlreichen Seen, die man für sich alleine hat, wenn man spät genug ist.

Feringasee

Und gestern wartete zu Hause bereits der Besuch und ein kaltes Glas Wein, und es wartete frische Pasta mit frischen Tomaten vom Markt. (Ich finde Fotos von Speisen furchtbar langweilig, doch glauben Sie mir, Sie haben etwas verpasst.)

Eine Schubertiade

Ich trage in den Keller, was ich nicht unbedingt brauche, um Platz zu schaffen für Bücher, die ich zur Zeit nicht lese. Neben dem Bett zahlreiche Stapel: finnische Märchen, die ich nicht verstehe, Kafkas Strafkolonie, ein Briefwechsel über fast eintausend Seiten und mindestens eine Biographie.

675503715 1033565

Ich komme zu wenig.

Nirgendwann

Ich erinnere noch den ersten Sommer nach meinem Umzug. Ich erinnere ihn aus verschiedenen Gründen, die unwichtig sind. Das Gefühl ist noch da, in der Sonne zu stehen, und diese kurze Spanne, in der man sich noch nicht heimisch fühlt, sondern wie im Urlaub erregt. Diese kurze Spanne vor der Gewohnheit.

Bitte MUT nicht als Sitz benutzen

Es war jener Sommer, in dem man Mut haben musste aus verschiedenen Gründen, die unwichtig sind. Wichtig ist, dass man ihn hatte. Ich stehe vor meinem zweiten Sommer in München, ein bisschen hat die Gewöhnung begonnen, was nur deswegen schade ist, die Gespanntheit nicht mehr zu haben, dieses unbekannte Gefühl des Erstaunens, nicht wissen, was mich erwartet.