»Vegetarische Bratwurst« ist ja auch immer irgendwie ein Pseudonym für »mittelschwere Katastrophe«

Wir haben am Sonntag, als der Besuch aus der Tür war, einen Film geschaut, eine DVD, die wir lange besitzen. Ich habe ihn vor vielleicht sechs Jahren zum letzten Mal gesehen und wusste nicht wenig mehr als dass er mir damals gefiel. Und ich sagte zu ihr, der Film sei lustig.

Natürlich war der Film auch traurig. Und ich weiß endlich wieder, warum ich ihn mag. Und dass es schön sein kann, mit einem Kloß im Hals im Bett zu liegen und einen Pfirsich zu essen. Und – noch wichtiger:

Das Herzklopfen sollte nicht allein der Espresso begründen.

Liebe lässt sich nicht beschreiben
genauso wenig wie die Luft
noch der Blumenduft
und Geheimnisse, die bleiben,
nur uns’re Augen können sie einverleiben.
Wie der Heilige im Sünder
ist das Licht der Bilder Gründer.

— t: Tom Tom in The Million Dollar Hotel

Dieser Kaffee macht keine Gefangenen

Gestern haben wir uns beim Abendessen über dieses Viertel unterhalten, wo ich jetzt in dem nach einer Baulücke benannten Café Gap sitze. Das Viertel erinnert diesem Café gleich an eine einzige Baustelle, zwischen denen bepackte Menschen ihre Einkäufe aus den offenen Märkten nach Hause tragen, mäandernd durch sich stauende Autos.

Hier in einer der kleinen Straßen hinter dem Hauptbahnhof ist der Kaffee doppelt stark wie damals an der marokkanischen Straßenecke, an die ich denken muss, die Bänke sind durchgesessen und an vielen Stellen notdürftig geflickt; unverputzte Wände blecken mich an, die Toiletten sind schräg hinten im Hof. Es ist der Ort, der dem zurückgelassenen Refugium am Nächsten ist.

Ich habe von einem Menschen gelesen, für den ist dieses Café ein Stück Berlin hier unten im Süden. Es ist eines der guten.

Café Glockenspiel

Erzählt man Menschen, die im Münchner Zentrum leben, von jenen Motorrädern und Sportwagen, die mit quietschenden Reifen vor den akkurat ausgerichteten Sitzreihen des Café Tambosi am Odeonsplatz ihre Motoren hochdrehen, winken sie ab und verdrehen die Augen. Und sagen »Die aus dem Umland!«

Café GlockenspielIn den Cafés erkennt man Besucher von auswärts an ihrem hektischen Verhalten, die besten Sitzplätze zu ergattern. Ein Paar aus Mutter und Tochter mäandert durch das Café einen Tisch im Außenberich zu ergattern. Kaum dass sie sitzen, vergräbt die Tochter ihren Kopf in der Tüte eines billigen Kaufhauses und prüft die eben erstandene Kleidung.

Ich beobachte sie und erinnere ein Gespräch mit einem Freund an genau diesem Ort, eine Diskussion, eine Meinungsverschiedenheit, beinahe ein Streit. Ich widerspräche heute, wenn er vom Land und Entspannung erzählte. Vielleicht ist man das Leiden gewöhnt in den oft zu lauten Straßen in dieser Stadt.

Aber im Café, da macht uns Städtern niemand was vor!

Lighten up, Baby! I’m a Chicken!

Jeder braucht Träume im Leben. Dass ich die meinen nicht erinnere, ist eine Warnung, die ich nicht hören möchte. Ich habe heute auf dem Rad nachgedacht über alte Bauern und darüber, was ich studierte. Und was ich beginne. Ich habe ein paar Alternativen, doch keine ist golden.

Zigarren

Der erste Donner erwischte mich unter alten Platanen in den Auen des Flusses, kurz hinter dem Scheitelpunkt meiner Strecke. Dann brachen die Wolken. Mir fehlt ein Vergleich zu dem Regen, der minutenlang hielt. Binnen Sekunden standen die Schuhe voll Wasser, war ich nass bis auf die Haut. Ein Zustand, den man in Städten selten erreicht, zivilisiert wie wir sind. Da draußen, schutzlos, fühlt es sich ungewohnt, seltsam wunderbar an. Wie ein Gefühl aus vergangenen Tagen, nach dem man seiner Mutter nicht mehr begegnen wollte und sich bis spät abends durch die Felder der Nachbarschaft drückte.

Nach sechzig sportlich gefahrenen Kilometern explodieren meine Oberschenkel. Ich habe wieder begonnen zu spüren. (Diesen Eintrag schrieb ich im Liegen.)

Schiehallion

Vor drei oder vier Jahren stand im Raum, zusammen mit einem Freund an einer Tour gegen Atomkraft in England mit dem Fahrrad teilzunehmen. Ich kann mich noch erinnern, dass wir schauten, wie man mit dem Rad nach Dover käme, die Strecke führte von dort aus nach London. Wir beide schauten uns an, weil ziemlich gut klang, mit einer international zusammengewürfelten Gruppe abends zu zelten und die Strecke in ein paar Tagen hinter uns zu bringen. Natürlich kam damals irgendetwas dazwischen, aber die Tour habe ich niemals vergessen.

Segways in a row

Ich erinnere noch diesen Moment an einem ersten April, an dem man mir sagte, man hätte mein Rennrad entsorgt. Ich rief am nächsten Morgen noch einmal zurück in der Hoffnung, dieser schlechte Scherz löse sich auf. Es war ein altes Rennrad, mindestens halb so schwer wie ich, in strahlendem Metallic-Grün, und hatte kurz zuvor neue Schläuche, Mäntel und Bremsen bekommen. Weil die Hebel der alten Zehn-Gang-Schaltung am Rahmen befestigt waren und ich mich daran nie gewöhnen konnte, habe ich den ein oder anderen Nerv auf der Strecke gelassen (wenn Fußgänger kamen oder Radfahrer nach einer sportlich genommenen Kurve).

Die für vorletzten Herbst geplante Tour von Kiel Richtung Osten haben das Wetter und eine Erkältung verschoben. Es liegen originalverpackte Satteltaschen im Keller, and’res Gepäck und ein obsolet gewordener Plan. Und nun ist es gerade wieder so weit, ich bin in der Stimmung, in der ich auf einem Rad gut aufgehoben wäre. Alleine oder zu zweit. Ich hätte die Tour damals in England wirklich gerne gemacht, lieber Freund.

Kennst Du den Lock-In-Effekt?

Sitzt man tagsüber zu Hause, merkt man, es klopfen mitunter Seltsame an. Heute zum Beispiel bat ein Malermeister um Zutritt zum Balkon, der mich fragte, ob ich Musiklehrer sei und beim Abschied den Blicken auswich und wortlos die Treppe hinunter verschwand. Wenig später ein älterer Herr, mich zu Fernsehgewohnheiten fragend, nicht ohne noch vor einem »Hallo« zu versprechen, die Wohnung nicht zu betreten und das bitte hier in der Tür machen zu wollen. Wir waren sehr schnell aus nahe liegenden Gründen, auch weil er die Antworten selbst gab und diese eifrig in seiner Kladde vermerkte. Ich habe wenig mehr als zehn Worte gesprochen.

Cy Twombly

Was ich an diesem Balkon sehr schätze ist die Oberfläche und die mediterrane Wärme seines Bodens am Abend, wenn sich unten dreißig Menschenmeter die Beine in den Bauch stehen vor der angeblich besten Eisdiele der Stadt. Ich trinke eiskalte Limonade, die Beine auf dem Klavierhocker ruhend, und schaue auf den Namen hinüber, von dem wir gestern noch aus traurigem Anlass über Brot und Salat hinweg sprachen.

Und doch: Ich habe eben den Schreibtisch in den Keller getragen. Ein Sitzplatz auf dem Balkon (oder in dem Sessel am Fenster) ist nicht, was ich mir als Arbeitsplatz vorstellen kann. Ich habe die Insignien des festen Büros in Kisten verpackt, nicht weil sie keine Vorteile hätten, einfach weil sie Platz in Anspruch nehmen – den ich nicht bereit bin ihnen zuzugestehen – und weil sie mich an den Tisch binden, auf dem sie stehen, wenn ich arbeiten will. Ich bin (zum wiederholten Male!) verwöhnt und freue mich mehr über einen Zuschuss zum Rennrad oder eine BahnCard 100 als über ein Lease-Car-Programm.

Es ist nichts persönlich, fürwahr. Nur weil wir uns nicht verstehen. Du redest die Sprache der Großväter, ich rede die Sprache der Jugend. LOL.

Alexander Supertramp

Ein Begriff geistert in den letzten Wochen auffällig vermehrt durch meine Timeline und durch meinen Reader. Und nun gerade eben drüben im Hafen ein Verweis auf einen Film über Freiheit.

Gegenwind

Hat das etwas damit zu tun: Warum fühlt sich 22:18 Uhr an einem Feiertag anders an als an einem Wochentag nach der Arbeit? Ich erinnere Zeiten, in denen ich morgens durch den Wald fuhr auf dem Rad und nicht in der U-Bahn in die Randbezirke der Stadt. Oder Dienstags um zehn den Gedanken dachte »dieses Papier lese ich hier unten am Fluss« und zur Theke ging einen schlechten Milchkaffee zu bestellen.

Es gibt noch immer die Zeiten, in denen ich Fotoalben Fremder besuche und sehne. Es gibt noch immer die Tage mit bestimmten Künstlern auf heavy rotation. Es hat einen Grund, warum ich in den Liedern nicht vorkomme, warum mich diese Fotos nicht zeigen. Zeit, das zu ändern? Zeit, entspannter zu werden? Auf den Kompass der Andern zu schauen und loslaufen, die rote Spitze als Warnung verstehend?

Wie einfach alles scheint zwischen den Zeiten, in denen man glaubt, nicht entfliehen zu können.

Der Teil deines Jobs, den Du gut machst
ist der Teil, über den Du dich kaputtlachst.

– Tom Liwa

Man kann nicht rausgehen, wenn der eigene Film im Augenkino läuft

»Zweieurodreißig« sagt sie und »wie immer«, während sie einen Becher über die Theke schiebt in einer mir unbekannten Größe. Sie lacht und ich zahle 40 Cent weniger als noch am Tag zuvor; auf meinem Weg zur U-Bahn steht sie vor ihrem Laden und ruft mir winkend »Ciao Bello« hinterher.

Ich bin wie stets in solchen Situationen paralysiert. Folgerichtig werde ich in den nächsten Wochen keinen Fuß mehr in dieses Café setzen. So war es immer.

Rückblickend wird mir deutlich, woher ich kam. Was für Zeiten das gewesen sind! Was das für Zeiten sind! Ich habe bei ihm mehr gelernt als wissenschaftlich zu schreiben. »Anspruchsvoll bist du geworden« sagt eine aus dem Schwarzweißfilm bekannte Figur und streicht mir sachte über den Kopf. Während ich vom Lehnsessel die Straße zum Museum überblicke, denke ich »Pech für die anderen, sie leiden darunter.« Doch: Der, der leidet, bin ich. Auch das habe ich gelernt in der letzten Dekade: Alles wird immer irgendwie gut.

On ne comprend pas
on ne voir jamais
on n’écoute rien

Und dieser Preis, dessen bin ich mir sicher, ist angemessen hoch. Es wird doch niemand verhungern, oder? Es wird noch niemand hier verhungern?!

Peryton

Einer der spricht wenn Du redest

Als wir gestern bei einer Tasse Kaffee saßen – und wir saßen bei vielen, während der Regen die zimmerhohen Fenster herablief – überlegten wir uns wie wir reisen für diese Firma, die es nicht gibt. Wir schrieben die Worte mit dicken schwarzen Stiften auf ein ansonsten ganz leeres Papier, durch Ausrufezeichen getrennt: Less! Trains!

Das wunderschöne Mädchen sagt: Ja, das bist Du.

Und fragt mich, was ich die letzten Monate machte. Ich frage stumm; wir leben zusammen. Sie sagt, ich hätte in den vergangenen Monaten anders geredet und sie fragt mich, wer spricht wenn ich rede.

Ich schüttle den Kopf. Die Werbung an der Biegung der Straße war ungewohnt hell und die Musik war ungewohnt laut. Man zog mich mehr als das ich ging. Und alles, was ich sagen kann klingt unglaublich albern. Ich kann nicht einmal böse sein, wenn Du drüber lachst.

Die Intelligenz der schönen Menschen

Von: Niels Fallenbeck
Betreff: Die Intelligenz der schönen Menschen
Datum: 9. Juni 2011 11:47:59 MESZ

Liebes Leben

ich bin etwas unausgeschlafen heute und trinke Unmengen Kaffee, um mich auf die Arbeit hier konzentrieren zu können. Aber dennoch (oder deswegen) geht es mir gut. Ich habe gestern bis zwei Uhr gearbeitet; Du siehst, ich mache das gern, wenn – wie man sagt – der Outcome das lohnt. Und die privaten Projekte lohnen das immer.

Die Freiheit und das Ich

Den Sinn sehen; Ich lese zahlreiche Texte in Büchern oder in Blogs, die meine Gefühle erklären: Mich interessiert nicht das Angebot vom Autohaus nebenan, das mir einen AMG-getunten Mercedes als Dienstwagen bietet, im Gegenteil: Ich liebe mein Fahrrad. Und ich habe die Nacht mit etwas verbracht, was mich mehrere einhundert Euro kosten wird. Trotzdem war ich um zwei Uhr zufriedener als ich’s bin gerade jetzt im Moment.

Draußen ziehen sich dunkle Wolken zusammen, die Gebäudeautomation fährt panisch die Jalousien herunter und die indirekte Beleuchtung herauf. Es ist ein sympathisches Gebäude, wie ein zweijähriges Kind. Es ist, liebes Leben, vielleicht ein Platz, der in den nächsten Jahren seinesgleichen sucht. Es ist nur so, dass all dies kaum zählt.